Der neunte Familienbericht – zum ersten Mal mit Erwähnung von Eltern mit Behinderungen

Eltern mit Behinderungen

Im neunten Familienbericht des BMFSFJ der Anfang März 2020 erschienen ist, werden die Eltern in den Mittelpunkt gestellt. Gerade durch die Corona – Krise sind viele Punkte nochmal deutlicher herausgekommen. Doch der Familienbericht wurde bereits vor Corona in Auftrag gegeben und so haben sich hier einige Dinge auch überschnitten. Die Ansprüche an Eltern und die Lebenswelten sich unheimlich vielschichtig.

Für mich ist der zentrale Punkt, dass es DIE Familie nicht mehr gibt. Familien sind vielfältiger geworden und das in jeglicher Hinsicht (Ich möchte euch hier nochmal auf das schöne Buch zu diesem Thema hinweisen). Und endlich hat das auch die Politik erkannt. Natürlich gibt es noch immer viel zu tun. Die beiden Mamas von Paula zum Beispiel mussten vor Gericht ziehen, damit Paula auch in der Geburtsurkunde 2 Mamas haben darf (Das Urteil steht noch aus)

 

Auch Eltern mit Behinderungen und psychischen Krankheiten wurden lange Zeit einfach nicht mit bedacht. So ist nun in der Langfassung 9. Familienberichtes zum ersten Mal über uns die Rede. Bereits in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht im 1. Kapitel wird auf Seite XVI darüber geschrieben:

Der Familienorientierung sollte auch im Teilhaberecht und in der Krankenversorgung größere Beachtung geschenkt werden. Denn in der Regel haben die Beeinträchtigungen einzelner Familienmitglieder Auswirkungen auf die ganze Familie. Dem trägt die Bundesregierung bereits durch verschiedene Regelungen Rechnung“

. des weiteren

Hilfen zur Unterstützung von Eltern mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen sind vielfältig und können von verschiedenen Leistungsträgern erbracht werden. Es muss stets der individuelle Bedarf ermittelt und festgestellt werden.“

und

Die Leistungen zur Sozialen Teilhabe umfassen nach § 78 Absatz 3 SGB IX auch Assistenzleistungen an Mütter und Väter mit Behinderungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder. Elternassistenz und Begleitete Elternschaft ergänzen den individuellen Anspruch der Leistungsberechtigten auf Persönliche Assistenz mit dem Ziel, ihre Elternschaft mit Unterstützung von außen kompetent wahrzunehmen und den Bedürfnissen ihrer Kinder in vollem Maße und barrierefrei gerecht zu werden.“

Quelle: 9. Familienbericht

 

Im weiteren Bericht findet man noch mehr darüber. So wird ab 6.3.1 ( S. 236 In der PDF Datei ab S. 304) über Elternschaft und Behinderungen geschrieben. Für mich ganz besonders wichtig ist dieser Abschnitt:

„Der systemische Blick ist entscheidend

Ein zentrales Problem für diese Familien im Bemühen, angemessene Unterstützung zu erhalten, besteht darin, dass Bedarfe dieser Familien sehr komplex sind, Leistungsträgeraber nie die ganze Familie in den Blick nehmen: „Die einen schauen mit der Gesundheitsbrille, die anderen haben nur die Jugendhilfe im Fokus“ (Metzing, in Bühring, 2018, A-1638). „

Quelle 9. Familienbericht

 

Genau diese Situation hat mich und uns in so vielen Bereichen Kraft, Zeit und Nerven gekostet. Gleichzeitig hat es in der ein oder anderen konkreten Situation dazu geführt, dass ich auf eine Unterstützung verzichtet habe. Und damit bin ich nicht alleine. Viele Anfragen die ich erhalte, zielen genau in diesen Bereich. So auch zum Beispiel der Kampf um eine Elternassistenz.

Auch ich bekam von der Krankenkasse gesagt: Für die Versorgung ihres Kindes sind wir nicht zuständig. Und das Jugendamt erwiderte: Aber sie brauchen doch den Rollstuhl – nicht ihr Kind, Das ist Gesundheitssorge. Für mich und uns war es eher Behörden Ping Pong. Das ist nur nur Kräftezehrend sondern auch zermürbend und hat rein gar nichts mit sozialer Teilhabe oder Selbstbestimmung zu tun. Man fühlt sich als Mensch mit Behinderung diskriminiert und soll dankbar sein, dass man Unterstützung und einen Ausgleich für seine Behinderung bekommt. Nein. Wir leben im Jahr 2021 – Menschenrechte sind für alle da. Hoffentlich ändert sich hier auch tatsächlich etwas für die Familien.

 

„Diese Aussage deckt sich auch mit den Ergebnissen von Michel et al. (2017) in der Studie „Unterstützte Elternschaft“ im Hinblick auf die Zusammenarbeit der Leistungsträger. Demnach schaut das Jugendamt zu wenig auf die Lebensbedingung Behinderung, während das Sozialamt die Belange der Kinder bzw. die Bedarfe im Rahmen von Elternschaft zu wenig berücksichtigt. Erst sehr verzögert öffnet sich die Eingliederungshilfe für eine systemische Perspektive, die auch das soziale Umfeld der von Behinderung Betroffenen mit einbezieht (vgl. im SGB IX: § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 11, §117 Abs. 1 Nr. 3, § 118 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 und 7). Mit einer restriktiven Interpretation des geltenden Rechts wird verhindert, die Perspektiven und Bedarfe von Dritten (z. B. des Kindes oder Partners eines behinderten Elternteils) einzubeziehen.397 „Dabei ist der konsequente Blick auf die ganze Familie mit den Belangen aller Mitglieder notwendig für die Verbesserung von Teilhabe und Lebensqualität und somit ein wichtiger Beitrag zur Gewährleistung des Kindeswohls“ (Michel et al., 2020, S. 20). Inwieweit die Anknüpfungspunkte im SGB IX, die einen Einbezug des familialen Umfelds nahelegen, auch in der Praxis genutzt werden, ist allerdings eine offene Frage und sollte daher erforscht werden.“

Quelle: 9. Familienbericht

 

Ihr merkt schon – zumindest die, die es bis hierher geschafft haben. Es ist ein Teilerfolg. Es bleibt noch viel Arbeit und Luft nach oben. Aber wir werden auch im Fazit und in den Abschlussempfehlungen erwähnt. Wer möchte kann sich das gerne alles selbst durchlesen und sich dann auch eine Meinung zum Inhalt bilden. Denn naja, so ganz stimme ich nicht mit allem überein.

Es ist wie so oft in der Behindertenbewegung. Ein erster Schritt. Dafür bin ich dankbar. Aber wir dürfen uns nicht mehr mit Krümeln abspeisen lassen.

Das wir erwähnt werden, zum ersten Mal, zeigt: Wir sind nicht alleine. Unsere Lobby wächst. Das Thema Elternschaft mit Behinderung wird immer sichtbarer. Durch Öffentlichkeitsarbeit, durch Filme, Reportagen aber auch durch Studienarbeiten und durch Social Media. Wir verstecken uns nicht mehr. Darauf kann man sich auch in den weiteren Diskussionen berufen.

Den umfassende Bericht könnt ihr euch gerne selbst durch lesen. Es gibt viele interessante Aspekte – auch zu den Themen: sozioökonomische Ressourcen, Armut, Vereinbarung von Beruf und Familie, Kinderbetreuung, Alleinerziehende, Trennung, Kindergrundsicherung und noch vieles mehr. Ich denke viele dieser Bereiche überschneiden sich auch und treffen mit Sicherheit bei dem einen oder anderen von euch zu.

Es ist etwas in Bewegung.

Genau deshalb dürfen wir nicht leise werden. Wir müssen sichtbar sein und die vielfältigen Bedürfnisse immer wieder aufzeigen. Familien sind unterschiedlich. Immer. Und wir gehören dazu.

Kinder von Eltern mit Behinderungen

Dieses Bild entstand im Mai 2016 auf dem europäischen Protesstag in Berlin

 

Was für uns liegt ist der Bericht. Doch damit ist der Weg noch lange nicht zu Ende. Die Umsetzung der Empfehlungen des Familienberichtes werden nicht mehr in dieser Legislaturperiode stattfinden. Aber ich mir sicher, zusammen können wir etwas bewirken. Also lasst uns sichtbar bleiben und uns austauschen. Nicht nur in unserer Peergroup, sondern überall. Denn Familien sind vielfältig und wir können alle von einander lernen und uns gemeinsam unterstützen.

 

 

Der Neunte Familienbericht mit der Stellungnahme der Bundesregierung ist unter www.bmfsfj.de/familienbericht-langfassung verfügbar.

Eine Zusammenfassung des Berichts findet sich unter www.bmfsfj.de/familienbericht-kurzfassung.

 

Eure

wheelymum

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3 Kommentare

  1. Birgit B.

    Liebe Wheelymum!

    Vielen Dank für die Info! Ich sitze gerade an meiner Bachelorarbeit zu den Folgen von Ablehnungen von Hilfsmitteln. Da kann ich aus dem Bericht sicher auch etwas einfließen lassen.

    Viele Grüße

    Antworten
    1. Stephie F

      Das ist wirklich ein gutes Thema – vielleicht können Sie die Ergebnisse umgewandelt auch in einer Zeitung veröffentlichen. Liebe Grüße

      Antworten
  2. wheelymum (Beitrag Autor)

    Oh wie spannend. Gerne können wir uns dazu auch einmal austauschen, viele Grüße

    Antworten

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