Leben mit Demenz – ein Wohnexperiment im Pflegeheim

Das Buchcover auf einem ICE Tisch. Das Gesicht des Autors ist darauf groß abgebildet. Er hat Mittellange braune Haare, trägt eine Brille und schaut verschmitzt in die Kamera. Sein Short ist schwarz. Darauf ist der Buchtitel zu lesen

Auf der Zugfahrt nach Wolfsburg und zurück, hat dieses Mal alles so gut funktioniert (ok, wir hatten auch die direkte Verbindung gewählt) dass ich Zeit hatte, ein ganzes Buch zu lesen. Das hatte gleich mehrere Gründe:

  • Die Kinder haben sich zu meiner Überraschung sehr gut selbst beschäftigt
  • Der Zug war nicht überfüllt
  • Es gab keine Probleme mit dem Rollstuhl
  • Das Buch hat ein ganz besonders Thema und ist richtig gut geschrieben

Der 21 – Jährige, der freiwillig in ein Pflegeheim zog und von seinen Mitbewohnern lernte, was Menschlichkeit bedeutet

Langer Titel – super Lektüre.

Toen macht eine Ausbildung zur Pflegefachkraft als die jüngste Schwester seiner Großmutter an Demenz erkrankt. Hier spürt er zum ersten Mal auch ganz privat. Was bedeutet es mit einer dementen Person in Kontakt zu treten, wie kann mein eine auf Gegenseitigkeit beruhende Beziehung aufbauen, bis hin zum Thema Lebensverlängernde Maßnahmen – all das erzählt er uns kurz. Denn das war ebenfalls ein Beweggrund für ihn in ein Heim zu ziehen. Der zweite Grund war die Begegnung mit John, der sagte: “Mein ganzen Leben lang hat sich mir jeder gegenüber normal verhalten. Bis sie mir beim Arzt sagten; du hast Parkinsson – Demenz.” und dem weitern Gespräch mit ihm. Toen will als Mitbewohner in ein Pflegeheim ziehen und darüber jornalistisch berichten.

Dass dieses Vorhaben so schnell klappt, damit hat er selbst nicht gerechnet. Doch dann war er da. Die Rollen klar aufgeteilt – er ist jetzt Mitbewohner, kein Pfleger. Ziemlich schnell schafft er seine Verbindung zu den Menschen herzustellen. Er merkt, dass er „eingesperrt ist“, nicht rein und raus kann, wann er möchte. Hart trifft es ihn, als er feststellt, dass eine Mitbewohnerin verstorben ist und die anderen Bewohner gar nicht darüber informiert wurden. Sich nicht von ihr verabschieden konnten. Obwohl sie jahrelang täglich zusammen gegessen haben und noch viele andere Dinge erlebt haben. „Seit wann bestimmt die Diagnose einer Form von Demenz das Lebensglück eines Menschen?“ S. 25

Muss ich mich mit der Diagnose selbst aufgeben und damit alles was mir lieb ist, was mir Freude bereitet hat und was mich ausmacht?

Welche Rechte haben wir, anderen Menschen ihre Rechte wegzunehmen? Ja, bei Gefahr für sich selbst und andere ist das möglich und evtl. auch sinnvoll. Doch Toen teilt im Buch seine Gedanken dazu mit uns:

Sie war nur hilfebedürftig und das kostete sie ihre Freiheit, ihre Selbstbestimmung und ihre Stimme in der Gesellschaft.“ (S.103)

Je länger er im Heim lebt, umso mehr fallen ihm Dinge auf. ER fühlt sich aber auch als Störfaktor, der von einigen Pflegekräften missmutig beäugt wird. Immer mehr gerät er ins Spannungsfeld zwischen den Mitbewohnern und der Pflege. Durch den Rollenwechsel fallen ihm Dinge auf, die sonst eher nicht gesehen werden (können).

Moralische Fragen, ethische, Sicherheitsfragen stehen genauso im Raum und werden diskutiert wie Pflegerische Bereiche. Immer wieder kommen die Themen Vorlieben, Selbstbestimmung. Mitwirkung und Würde in unterschiedlichen Situationen und Setting zum tragen.

Sein persönliches Fazit steht unter der Überschrift „Für immer Mensch“. Alleine diese Aussage geht mir so nahe, dass ich Tränen in die Augen bekomme. Bei all dem was ich zuvor lesen durfte. Toen ist sich seiner Verantwortung über diesen Geschützen Rahmen zu berichten bewusst. Das ist vielleicht auch mein ganz persönliches Highlight am Buch. Die Ehrlichkeit, Härte und Würde mit der er über die 6 Monate in schreibt in denen er in dem Pflegeheim lebte.

Es ist seine Wahrheit, aber eine Darstellung, die uns alle zum Nachdenken anregen sollte. Es ist keine Anklage an die Pflege, sondern vielmehr die Frage: Wie können wir eine Veränderung bewirken? Dazu müssen wir uns die Frage stellen: Welchen Sinn hat das Leben mit Demenz? (S. 11)

Ganz am Ende teilt er einen Auszug aus seinem Freundebuch, das er im Heim von den anderen Mitbewohner*innen hat ausfüllen lassen.

Mit dieser Leseempfehlung möchte ich diese Buchvorstellung beenden.

wheelymum

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