Was machst du eigentlich den ganzen Tag 5. Februar
Ein Fuß in Schuhgröße 28 tritt mich in den Bauch. Guten Morgen aus dem Familienbett. Ich bin wach, Schuhgröße 28 und sein Besitzer schlafen friedlich weiter.
Das Januarwunder ist auch wach und verlangt lautstark und sofort nach einem Frühstück. Die Betonung liegt auf sofort, bevor das ganze Haus aufwacht. Der Herzmann mobilisiert mich und danach beginnt das Morgenprogramm. Es gibt Frischkäsebrot mit Birne für den kleinen Menschen mit dem lautstarken Organ und erstmals Kaffee für mich. Nachdem das Baby ein Schlachtfeld hinterlassen hat, aber satt und zufrieden ist, beginnt die erste Inhaltionsrunde und Medikamentenausgabe. Man könnte meinen wir leben in einer Klinik. Von Dingen für Atmenwegsinfekten, über Thromboseprophylaxe bis zu den Eisenpräparaten ist alles dabei. Für jeden etwas.
Das Januarwunder wird angezogen und die erste Runde Spülmaschine ausräumen wartet auf uns, damit das Frühstückgeschirr weggeräumt werden kann. 1:0 für den Haushalt.
Das Handy bimmelt und ein paar organisatorische Dinge möchten noch erlegt werden.
Junior wacht auch auf und es wird erst einmal gekuschelt. Dann beginnt das morgendliche Drama, was es denn nun zum Frühstück gäbe. Glutenfrei, gesund und schmecken solle es auch noch. Und zwar nicht nur gut, sondern sehr gut. Überhaupt sei alles scheiße und der Kindergarten langweilig, dort kenne er ja schon alles. Deswegen möge er auch nichts zu Essen in den Kindergarten mitnehmen. Vielleicht isst er auch nie wieder etwas, weil er keine Energie braucht. Er sei stark genug und wenn ihn die Kraft verlässt, dann denkt er einfach an was schönes. Ein gemischtes Müsli würde er sich dann jetzt aber doch machen.
Gefühlt zwei Stunden später – in Echtzeit 20 Min – sind wir alle angezogen und das Januarwunder hat munter zig Bälle in der Wohnung verteilt und die Sockenschublade ausgeräumt. Der Herzmann bringt Junior in den Kindergarten und ich brauche Kaffee. Ein Telefongespräch mit dem Sanitätshaus steht an, denn der Wannenlifter ist bereits wieder kaputt. Das ist nun der 3te seit 12 Wochen. Dieser kam bereits mit einem Defekt im Kunststoff. Für den alten fehlt aber noch ein Ersatzteil, wenn dieses da sei, wird er repariert und wieder ausgetauscht.
Die nächste Inhaltionsrunde steht an. Eigentlich wollte ich saugen, doch das Januarwunder hat so Probleme mit dem Stuhlgang, dass es vor Bauchschmerzen brüllt. 2:0 für den Haushalt.
Bauchmassage, Fußmassage und ganz viel tragen später ist etwas Erleichterung in Sicht. Meine Rückenschmerzen melden sich auch wieder und ich muss Schmerzmittel nehmen. Nach den Schmerzmitteln ist vor dem Milch abpumpen um diese dann zu verwerfen. Ich brauche Kaffee. Das Januarwunder schläft ein und stelle einen Beitrag online und versuche ein paar Mails zu beantworten.
Ich bekomme so viele Nachrichten von Menschen die sich Gedanken machen über Elternschaft mit Behinderung oder chronischen Krankheiten. Viele öffnen sich mir und erzählen mir von ihren eigenen Geschichten, vom Kampf mit Behörden, fehlenden Hilfen usw. Wir tauschen uns aus, ich versuche zuzuhören. Sobald ich frage, ob jemand diese Wünsche, Ängste, Unsicherheiten, Ungerechtigkeiten oder einfach nur seine Geschichte – gerne auch anonym – hier auf wheelymum veröffentlichen würde, bekomme ich als Rückmeldung ein: Ich glaube nicht, dass das für andere wichtig ist oder ein: lieber nicht sonst erkennt mich noch jemand.
Wir sind viele und jede Familie ist anders, ganz gleich ob mit Behinderung oder ohne. Lasst uns das zeigen, wie vielfältig Familienleben aussehen kann und auch Probleme und Anstrengungen nicht verschweigen. Lasst uns füreinander da sein.
Das Januarwunder wacht auf, möchte eine frische Windel und etwas zu essen. Ich bekomme die Nachricht einer Bekannten: „Wir machen uns jetzt auf den Weg. Bis gleich“.
Ich denke nur: „Oh, nein. Es war doch Donnerstag ausgemacht“ und versuche sie zu erreichen. Erfolglos. Ich schreibe ihr zurück, dass ich von Donnerstag ausging und wir heute leider nicht können. – leider kam keine Antwort zurück.
Wir müssen uns nun aber fertig machen, denn es steht ein Arztbesuch an. Das Januarwunder muss unbedingt abgehört werden und die nächste Blutkontrolle findet heute statt. Ich freue mich sehr über eure gedrückten Daumen. Bei jedem Besuch, bei unserem wunderbaren Kinderarzt, freue ich mich über die Barrierefreiheit und gleichzeitig ärgere ich mich, dass es einfach immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. Blutabnahme und die Vene platz. Sonst machen die beiden das aber sehr gut und ich bin immer wieder dankbar für diesen fürsorglichen, entspannten Arzt. Er meldet sich morgen mit den Ergebnissen. Bis dahin weiter inhalieren,. Mit einem Stapel voll Rezepten verlassen wir die Praxis.
Für die Apotheke ist es nun zu spät – dieser Posten muss also mit aufs Nachmittagsprogramm. Schnell noch etwas Essen machen – die Frühstückssachen stehen immer noch herum, die Spülmaschine ist… Maja, lassen wir das.
Die Sonne scheint. Wie gut das doch gleich tut. Wir holen Junior im Kindergarten ab und werden gebeten morgen früh um 7.45 dort zu sein. Ja, schaffen wir – irgendwie. Wir gehen über die Straße und sind gleich zu Hause. Ich bin zu langsam, Junior rennt mit den Schuhen in die Wohnung verteilt überall Sand und Dreck. Wie gut, dass ich heute doch noch nicht gesaugt habe. Leider bekomme ich bei Sand Probleme mit dem Rollstuhl und so muss das nun doch gleich beseitigt werden. Zumindest grob.
Es gibt ein paar Nudel und Tomatensoße. Während das Januarwunder mit seinem Essen kämpft, bereue ich diese Essensauswahl schon wieder. Die Reste werden aus Zeitmangel liegen gelassen und angetrocknet lassen sie sich eh leichter zusammenfegen. Junior macht laut Musik an und wir singen und tanzen alle laut mit. Einfach den Moment genießen. Diesen kleinen Augenblick. Wir lachen zusammen und es ist so schön. Bei uns ist nachmittags nochmal Kindergarten – bei dem tollen Wetter möchte ich aber einen langen Spaziergang mit dem Januarwunder machen und Junior entscheidet sich, uns zu begleiten. So spazieren wir 2,5 Stunden über das Feld, den Wald und besuchen den Tierpark und den Spielplatz.
Danach bin ich vollkommen ko. Aber sehr glücklich. Die Sonne tat uns so gut. Die Wäsche, die Spülmaschine, die Apotheke und die Post … oh die Post, dass alles haben wir heute nicht geschafft. Dafür schnippelt Junior eine Karotte für Kartottenapfelsalat zum Abendessen, das Januarwunder freut sich auf Spielezeit mit dem Papa und ich verkrieche mich mit einer Wärmflasche ins Bett. Das Abendprogramm sieht nochmal inhalieren für alle vor und der Haushalt lacht uns aus. Wir lachen zurück, denn morgen ist ein neuer Tag. Genug Zeit für Haushalt, Erledigungen, Anrufe,… oder auch nicht.
Was andere so den ganzen Tag über machen? An jedem 5 ten eines Monats ist Tagebuchbloggen bei Frau Brüllen.
Eure
Das hast du sehr schön beschrieben, wie die Pläne dann doch immer wieder vom Leben über den Haufen geworfen werden, aber am Ende doch alle ganz glücklich sind 🙂
Viele Grüße,
Lisa
Liebe Lisa, danke.
Ich versuche es jeden Tag zu nehmen wie es kommt. Manchmal ist das einfacher, manchmal schwerer. Aber es hilft ja alles nichts und so machen wir das Beste daraus
So chaotisch das auch alles ist, ich finde es soooo schön, dass ihr trotzdem noch die kleinen Momente genießen könnt. Das ist so wichtig 🙂
Schade, dass sich viele Menschen nicht trauen, über Sorgen und Ängste zu berichten. Ich lese sehr gerne darüber, da man so auch einfach als „Nicht-Betroffener“ sensibilisiert wird. Nur so kann doch was erreicht werden, oder? Vielleicht findet ja doch noch der Ein oder Andere Mut… ich würde es mir wünschen 🙂
Liebe Grüße,
EsistJuli
Danke für deine Worte. Vielleicht ist es auch genau so ein Kommentar, der jemanden dazu ermutigt. Liebe Grüße
Puh, das war ein voller Tag. Ich hoffe,dem Kleinen geht es bald besser und ihr habt eine gute Woche. LG Tanja
Danke Tanja, für deine Wünsche. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern. Aber wir versuchen das Beste daraus zu machen (manchmal ist das gar nicht so einfach)