Eltern mit Behinderungen: Ich hätte gerne Kinder, traue mich aber noch nicht

Eltern mit Behinderungen

Jeder hat einen Rucksack in seinem Leben zu tragen. Bei den einen sehen diese leichter aus als bei den anderen. Aber wir können nicht hinein schauen. Wir wissen weder wie schwer und groß diese Rücksäcke sind oder wie weit der Mensch damit schon gegangen ist. Auch nichts über seine Verfassung mit der diesen Sack tragen muss. Lasst uns nicht vergleichen und Leid vergleichen. Jedes Leben kann anstrengend sein. Und manchmal ist das eigene Leben kompliziert und man macht sich viele Gedanken. Auch Gedanken zum Thema Familienplanung. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Marco hat uns letzte Woche ganz viele Eindrücke in sein Leben gegeben. Heute geht es nun um das Thema Elternschaft in diesem Kontext:

 

Aktuell hast du noch keine Kinder. Darf ich fragen warum?
Mit früheren Partnerinnen waren Kinder noch kein Thema. Ich wollte zuerst mein Studium beenden und finanziell auf einer soliden Grundlage sein.
Mit meiner jetzigen Partnerin war ich erst ein Jahr zusammen, bevor ich im Rollstuhl gelandet bin. Das wäre mir zu schnell gegangen wenn wir da schon ein Kind bekommen hätten. Und während diesem Jahr hatte ich dann ja auch noch Krebs. Zudem hatte ich einen neuen Arbeitsplatz. Alles im Allem hat es für mich vor meiner Querschnittslähmung noch nicht gepasst. Jetzt sprechen eine Partnerin und ich öfters über Kinder. Es war also immer ein Thema.

Hat deine Krebserkrankung auch etwas damit zu tun, dass du noch keine Kinder möchtest?
Nein, meine Krebserkrankung hat damit nichts zu tun. Außer, dass ich regelmäßig zu meinen Nachsorgeuntersuchungen gehe, ist das Thema Krebs auch in meinem Alltag nicht mehr präsent.

 

Du schreibst ” im Moment traust du dir das noch nicht zu” – wow, was für eine reflektierte Sicht. Wie geht es dir damit?
Was sind deine Ängste, Sorgen?
Wie es mir damit geht, ist gar nicht so einfach zu beschreiben. Natürlich macht mich das traurig. Aber da bin ich ein Realist. Im Moment ist ein Kind für mich nicht realisierbar.
Bestimmt fehlen mir auch Info’s, welche Möglichkeiten es gibt, z.B. von wem man wie unterstützt wird, welche Möglichkeiten der Hilfe es gibt, usw.
Aber das ist im Moment auch noch nicht relevant, da ich kein gutes Gefühl dabei hätte, jetzt ein Kind zu haben. Da gibt es zurzeit einfach zu viele Baustellen, zu viele Ängste und Sorgen.
Dazu zählt z.B. dass ich im Moment noch nicht weiß oder abschätzen kann wie es finanziell bei mir weiter geht. Aktuell lebe ich von einer kleinen Rente. Ich will meiner Familie und wenn ich ein Kind haben sollte, auch etwas bieten können. Natürlich nicht nur finanziell, aber das gehört definitiv für mich dazu.
Ich trau mir auch im Moment nicht zu, mich um ein Kind zu kümmern, wenn meine Freundin in der Arbeit ist. Dazu bin ich leider zu unselbstständig. Und jemand anderem zuzumuten, sich nicht nur um mich, sondern auch noch um ein Kind zu kümmern, das tue ich nicht.
Dadurch, dass ich seit meinem 16ten Lebensjahr oft in Krankenhäuser war und sehr viele Medikamente in meinem bisherigen Leben genommen habe, habe ich auch etwas Angst, ob die Qualität meiner Spermien noch so gut ist wie bei gesunden Menschen. Da würde ich wollen, dass das vorher untersucht wird. Meine Krankheit ist zwar angeblich nicht vererbbar, aber trotzdem würde ich mich da absichern wollen.
Davon abgesehen tickt die Zeit leider sehr schnell. Meine Partnerin ist etwas älter als ich, sie ist 41. Ihr Frauenarzt sagte zu ihr auch, wenn wir ein Kind möchten, dann jetzt oder nie.

 

Puhh, damit bekommt ihr ja auch etwas die Pistole auf die Brust gesetzt. Das ist heftig. Hat das Auswirkungen auf eure Partnerschaft?
Nein, das hat keine Auswirkungen auf unsere Partnerschaft.

 

Was müsste sich verändern, was brauchst du, usw. damit der der Moment vorbei ist und du dir mit Rollstuhl es vorstellen kannst, Papa zu sein?
Es müsste sich zumindest die gesundheitliche Situation ändern.  Leider kann man hier gar nichts sagen. Weder ob eine Besserung eintritt noch wann. Wenn ich zumindest in der Wohnung ein paar Schritte am Rollator laufen könnte, alleine auf die Toilette gehen könnte, mich alleine ankleiden könnte und auch alleine das Haus für Arztbesuche oder zum Einkaufen verlassen könnte usw. dann wären meine Bedenken um einiges weniger. Dann wäre ich um einiges Selbstständiger und wäre nicht ständig auf Hilfe angewiesen.
Und natürlich müsste ich finanziell wissen wie es zukünftig aussieht. Die Rente ist immer nur für 2 Jahre befristet, meine Erwerbsunfähigkeitsversicherung weigert sich zu bezahlen. Da ist im Moment keine Planung möglich. Da muss man abwarten, wie es sich entwickelt.

 

Und wenn es nun “einfach so passieren” würde?
Wenn „es einfach so passieren würde“, dann würden wir die Situation annehmen und es würde mit Sicherheit auch funktionieren.
Aber es wäre nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich hätte sehr gerne ein Kind / Kinder, aber unter diesen Umständen kommt das für mich nicht in Frage.
Was ich glaube, was Kinder brauchen? Zu den wichtigsten „Dingen“ die Kinder brauchen gehören meiner Meinung nach die Liebe der Eltern, die Geborgenheit, die Sicherheit die Eltern einem Kind geben.
Diese Dinge haben jetzt nicht alle was damit zu tun, ob ein Elternteil im Rolli ist oder nicht.
Dennoch kommt für mich in der aktuellen Situation ein Kind nicht in Frage. Solange ich noch so unselbständig bin und nicht mal ohne Hilfe mit mir selbst klar komme wäre für mich ein Kind mehr „Belastung“ als sonst was.
Tut mir leid, wenn ich das so hart ausdrücke („Belastung“), ich weiß, das hört sich krass an.

 

Du sprichst ganz offen über dieses Thema. Dabei fällt mir ein Gastbeitrag ein, indem eine Frau über Sex mit Behinderung spricht. Denn auch das ist ja ein Thema. Natürlich sind solche Themen sehr intim und sollen auch so behandelt werden. Was hat dich ermutigtet, dennoch offen über diese Ängste und Gedanken zu sprechen?
Ich bin generell ein recht offener Mensch, mit dem man über alle Themen sprechen kann. Natürlich gibt es immer wieder Themen, die sehr intim sind. Da musste ich auch erst mal den Mut finden darüber zu sprechen.
Da bin ich echt froh, dass es (Facebook-)Gruppen und Foren gibt, wo „Gleichgesinnte“ sind. Z.B. musste Ich auch erst den Mut finden, ganz offen über Themen wie „kathetern“, „wie klappt das große Geschäft besser“ oder auch „Orgasmuskopfschmerzen“ zu sprechen. Wir sitzen ja alle im selben Boot, da ist doch jeder froh, wenn man Tipps oder Erfahrungsberichte bekommt, oder?
Und auch beim Thema Sex finde ich es ganz wichtig, dass man sich austauscht. Es ist nun mal so, dass sich das Sexleben durch so eine Erkrankung wie durch eine Querschnittslähmung mehr oder weniger ändert. Plötzlich sind z.B. nur noch wenige Stellungen möglich wenn man sich liebt, man hat an manchen Körperstellung ein vermehrtes oder vermindertes Gefühl, evtl. ist es schwieriger mit der Hygiene als bei gesunden Menschen oder die sexuellen Bedürfnisse ändern sich. Da ist es mir auf alle Fälle wichtig, nicht nur mit meiner Partnerin zu sprechen, sondern auch zu erfahren, wie es bei anderen so ist um vielleicht Tipps und Anregungen zu bekommen.

 

 

Ich wünsche euch einen offenen Austausch, denn ich bin mir sicher, wenn wir mehr über diese Themen wissen, sind sie nicht mehr so tabu besetzt und vielleicht hat man auch etwas weniger Angst davor.

 

Eure

wheelymum

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1 Kommentar

  1. Michl

    Ich glaube du wirst ein toller Papa. Angst vor dem Unbekannten, hatten wir alle

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