Eltern mit Behinderungen: Ich hätte gerne Kinder, aber ich traue mich noch nicht (Teil 1)

Eltern mit Behinderungen

Nachdem Karina erklärt hat, warum für sie mit ihrer Erkrankung keine Kinder (aktuell) eine Option sind, komme ich heute zu einem anderen Beitrag in der Blogreihe. Auch wieder kinderlos – und das ist vollkommen in Ordnung – ich werte nicht nach Leben mit Kindern oder ohne. Im Idealfall entscheidet das jeder für sich. Aber es ist ein Elternblog und deswegen kommt der Bezug automatisch wieder. Denn immer wieder erreichen mich Mails, in denen ich gefragt werde, wie wir uns auf die auf das Leben mit Kindern vorbereitet haben, welche Gedanken wir uns z.b. in oder vor der Schwangerschaft gemacht haben usw. Ich kann hier natürlich, nur für mich und uns sprechen. Aber es geht vielen anderen Menschen genauso. Umso mehr freue ich mich, dass Marco * (Name geändert) , sich heute hier ein paar meiner Fragen stellt und euch somit vielleicht auch weiterhelfen kann, oder wir alle in einen Austausch kommen können. Damit man die Situation für sich einschätzen kann, geht es im ersten Teil zu der Lebenssituation von Marco.

 

 

Kannst du dich bitte kurz etwas vorstellen, damit man einen kleinen Einblick bekommen, wer hier schreibt?
Ich bin der Marco, bin 35 Jahre alt und komme aus Baden Württemberg. Ich wohne in einer kleinen Stadt (ca. 14.000 Einwohner) in einer Mietwohnung mit meiner Partnerin.
Ich habe nach der Schule eine Ausbildung zum techn. Zeichner gemacht. Anschließend hab ich das Abi nachgeholt und habe dann studiert. Ich bin Diplom-Wirtschaftsingenieur, allerdings seit Eintritt meiner Querschnittslähmung 2017 befristet EM-Rentner.
Eine befristete Erwerbsminderungrente ist in meinem Fall gleichermaßen ein Fluch und ein Segen. Ein Fluch deshalb, weil die Rente in meinem Fall immer nur befristet ist und ich alle 2 Jahre eine Verlängerung beantragen muss. Ich muss immer wieder bangen, ob die Rente verlängert wird oder nicht. Somit ist eine (finanzielle)  Planung immer nur für max. 2 Jahre möglich. Ein Segen ist sie aber auch, da ich dadurch zwar ein relativ kleines, aber dennoch geregeltes Einkommen habe und nicht auf Sozialhilfe oder ähnliches angewiesen bin.
Zu meinen Krankheiten / meiner Behinderung:
Ich wurde mehrmals im Rückenmark embolisiert und operiert. Grund dafür ist eine AV-Malformation (so ne Art Aneurysma im Rückenmark (kommt sehr selten vor)). Bereits 2009 sagten alle Ärzte, dass sie mir noch max. ein Jahr geben wo ich laufen kann. Ich habe dann einen super Arzt gefunden, der sich an mein Rückenmark ran getraut hat, mit angeblich nur geringem Risiko einer Querschnittslähmung. Aber der Arzt war in der Schweiz, so musste ich die Embolisation (ca. 30.000 Schweizer Franken) selbst bezahlen. Ca. 1,5 Jahre später musste ich erneut embolisiert werden, da die AV-Malformation wieder gewachsen ist und somit das Rückenmark erneut gequetscht hat. Auch das musste ich dann wieder selbst bezahlen, weil der Professor nur Privatpatienten operiert. Naja, 2017 wiederholte sich das Ganze. Diesmal konnte ich mir noch ne OP selbst zu bezahlen leider nicht mehr leisten. Ich war noch nicht lange mit dem Studium fertig und hatte noch nicht viel verdient. Ich wurde dann in einer „Standardklinik“ embolisiert. Somit musste dann zu einem „0815“-Arzt und seitdem bin ich inkomplett querschnittsgelähmt. Durch diesen mehrstündigen Eingriff wurde mein Rückenmark über mehrere Tage gequetscht, da die Schwellung die durch die Embolisation entstanden ist sich nicht schnell genug zurück gebildet hat. Seit diesem Zeitpunkt bin ich inkomplett querschnittsgelähmt.
Inkomplett bedeutet in meinem Fall, dass das Rückenmark nicht durchtrennt wurde. Es ist teilweise noch ein Rest an Gefühl und Funktion vorhanden. Man sagt, dass bei einer inkompletten Querschnittslähmung in den ersten beiden Jahren nach dem Eintritt des Querschnittes am ehesten Funktionen wieder zurück kommen. Danach ist die Chance eher sehr gering. Bei mir hat sich in dieser Zeit leider nicht viel gebessert. Dennoch ist eine, wenn auch sehr kleine, Chance da, dass sich mein Zustand wieder etwas bessert.
Die Krankheitsgeschichte ging bei mir bereits im Jahr 2000 los. Ich hatte zusätzlich noch 2 Gehirnblutungen, hab mir im Krankenhaus Bakterien (Staphylokokken) über einen ZVK (zentraler Venenkatheter) eingefangen (da war dann die Herzklappe kaputt und musste rekonstruiert werden), 2016 hatte ich auch noch Krebs.
Das war jetzt die absolute Kurzversion… falls Fragen hierzu sind bitte einfach melden!
Du sitzt im Rollstuhl. Kannst du uns einmal ein wenig von deinen Tagen oder Abläufen berichten?
Meine Tagesabläufe sind in der Regel immer ähnlich. Ich habe zwei Pflegepersonen (meine Partnerin, mit der ich zusammen wohne und meine Mama) Je nachdem wie meine Partnerin arbeiten muss (Früh- oder Spätschicht) bekomme ich morgens meiner Partnerin oder von meiner Mutter Hilfe beim Anziehen, Aufstehen, Duschen, etc.
Vormittags bin ich meist am Laptop um mich um meine Angelegenheiten zu kümmern. Dazu zählt viel Briefkram erledigen, viel Schriftverkehr mit Behörden, Krankenkasse, Pflegekasse, Versicherungen, etc.
Zudem Versuche ich im Haushalt mitzuhelfen wo ich kann. Nachmittags mache ich täglich Sport.
Hilfe brauche ich leider öfters. Beispielsweise morgens bei Aufstehen, abends beim ins Bett gehen,  beim An- und Auskleiden, beim Übersetzten, wenn ich außer Haus muss, bei der Hausarbeit und auch bei Dingen wie auf die Toilette (Stuhlgang) gehen.
Das Thema „Toilette“ ist allgemein bei vielen Querschnittsgelähmten oftmals problematisch. Durch eine Querschnittslähmung ist in der Regel auch immer die Blase / der Darm mit betroffen. In der heutigen Zeit gibt es zwar verschiedene Möglichkeiten um dieses Thema gut im Griff zu haben, aber dennoch gibt es genauso auch Situationen bei denen man auf Hilfe angewiesen ist.
Gerade außerhalb der eigenen 4 Wände ist es oftmals schwierig auf die Toilette zu gehen.  Oftmals ist auch gar keine Behindertentoilette vorhanden.

 

Wie geht es dir damit diese Hilfe anzunehmen? Fühlst du dich abhängig?
Ich bekomme keine externe Hilfe. Ich bekomme Hilfe von meiner, Partnerin, Mama (die meine beiden Pflegepersonen sind und meiner Familie.) Anfangs viel es mir sehr schwer Hilfe anzunehmen. Es kam immer drauf an, bei was ich Hilfe brauche. Hilfe im Alltag anzunehmen viel mir nie schwer.
Schwierig wurde es, wenn es um intime Sachen ging. Es war mir lange Zeit mehr wie unangenehm, wenn meine Partnerin oder meine Mutter mir auf der Toilette geholfen hat. Oder mir Hilfestellung z.B. beim Rasieren des Intimbereichs gegeben haben. Oder wenn meine Risse in der Pofalte, die ich vom Übersetzen öfters mal bekomme, oder meine Narbe direkt am Auspuff versorgt werden müssen.
Mittlerweile hab ich mich daran gewöhnt und es macht mir nix mehr aus. Zumindest bei meinen Pflegepersonen. Wenn ich ins Krankenhaus muss ist es aber wieder anders. Da bin ich dann Fremden gegenüber schon wieder mehr oder weniger „gschamig“.
Die Situation, dass ich mich vor anderen komplett ausziehen muss, z.B. bei der regelmäßigen Krebsnachsorge, wird mir immer unangenehm bleiben.
Aber egal von wem man Hilfe bekommt, von Familie und Freunde oder von fremden Menschen, ich fühle mich in vielen Situationen von anderen abhängig (was ich ja auch oftmals bin).
Gibt es eine Prognose für deine Krankheit gibt, eher schlechter werdend, stabil oder mit Training vielleicht sogar besser?
Eine Prognose bei einem inkompletten Querschnitt ist immer schwierig. Das Positive bei mir ist, das mein Rückenmark, wie bereits erwähnt, nicht durchtrennt ist. Ich kann z.B. in beiden Füßen mit den Zehen wackeln, hab an den meisten Stellen mehr oder weniger Gefühl. Es wurde auch in der Klinik getestet, die Nerven leiten auch bis zu den Zehen durch. Mein Rückenmark war durch die Embolisation zu lange gequetscht. Ärzte sagen dazu, mein Rückenmark ist „beleidigt“.
Ob und wie viel wieder zurück kommt weiß man nicht. Man sagt aber, dass man normalerweise in den ersten beiden Jahren der Querschnittslähmung am Meisten an Funktion zurückkommt.
In den ersten beiden Jahren kam bei mir leider nicht besonders viel an Funktion zurück. Lediglich die Sexualfunktion funktionierte nach einigen Monaten wieder. Das ist eher ungewöhnlich für einen Querschnitt (zumindest, dass alles ohne Hilfsmittel wie Viagra wieder möglich ist oder auch zum Orgasmus / zur Ejakulation überhaupt kommt) Normalerweise kommt die Sexualfunktion ziemlich als letztes zurück, vorher eigentlich die Funktion der Blase und des Darms. Natürlich bin ich froh, dass das wieder funktioniert. Es wäre mir viel lieber gewesen, wenn andere Funktionen, wie z.B. dass ich wieder normal auf die Toilette gehen kann, zurückgekommen wären. Aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert…
Ich mache täglich Sport, hab zwei Mal pro Woche Physiotherapie, hab nen Thera-Trainer, (Was ist das?) ne Rüttelplatte und andere Sportgeräte. Ich habe den Thera-Trainer von der Krankenkasse zur Leihe bekommen, ein Gerät dass meine Beine durchbewegt (Bewegung ist gut gegen die Spastik in den Beinen) und ich auch die Arme trainieren kann. Zudem habe ich mir diverse Sportgeräte wie z.B. eine Vibrationsplatte, Thera-Bänder, Hanteln, etc. gekauft. Von meiner Physiotherapeutin, die zwei Mal pro Woche zu mir ins Haus kommt, habe ich zusätzlich von Anfang an einen Trainingsplan mit Übungen bekommen, die ich (zum Teil mit Hilfestellung meiner Pflegepersonen) täglich, außer sonntags, absolviere. Zudem hoffe ich auch, dass ich im nächsten Jahr ein Exoskelett ( zu bekommen um dadurch das Laufen wieder zu lernen. (Ein Exoskelett ist ein hochmodernes Hilfsmittel, das querschnittsgelähmten Menschen ermöglicht wieder aufrecht zu stehen und auch zu laufen.)  Ob es klappt weiß man nicht, aber die Möglichkeit ist zumindest da.

Im Moment ist bei mir alles stabil. Am schlimmsten sind die ständigen Harnwegsinfekte, die mich immer wieder zurück werfen. Die kommen wohl durch das ständige kathetern. Diese Infekte habe ich im Durchschnitt 2-mal pro Monat für 5-7 Tage (manchmal sogar etwas länger). Ich hab schon hunderte Euros dafür ausgegeben, um mit Mittel wie D-Mannose , Cranberry, Angocin, Cystinol die Harnwegsinfekte zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Nichts hat geholfen, auch teure Impfungen mit StroVac oder Urovaxom blieben ohne Erfolg.

Symbolbild – Bildrechte: Andi Weiland Gesellschaftsbilder

Diese Situationen bringen dich dann  auch immer wieder in die Klinik, oder?

Durch die häufige Einnahme von Antibiotika sind mittlerweile auch schon manche Bakterien resistent gegen jegliches Antibiotika, das es in Tablettenform gibt. Dann muss ich in die Klinik und bekomme dort Antibiotika über die Vene.

 

Und bei diesen vielen Themen, die dich beschäftigen, dich begleiten und die du annehmen musst. bist du in einer glücklichen Partnerschaft. Kinder sind bei euch immer ein Thema. Aber eben auch Behinderung und Krankheit. Welche Gedanken, Sorgen usw ihr euch dazu im speziellen macht, das können wir dann nächste Woche lesen.

 

Bei Fragen meldet euch gerne bei Marco und kommentiert. Er erklärt das wirklich alles geduldig und ausführlich ohne Scharm.

Das ist so wertvoll.

Danke

wheelymum

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1 Kommentar

  1. EsistJuli

    Toller Beitrag, der sicher viel Mut erfordert hat. Alles Gute 🙂

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