Blogreihe Eltern mit Behinderung: Perlenmama zu Gast

Eltern mit Behinderungen

Die Blogreihe: Eltern mit Behinderungen ist aus ihrem Winterschlaf erwacht und startet in 2017. Heute habe ich ein Interview für euch, das mir wirklich sehr am Herzen liegt. Durch einen Tweet bei Twitter, bemerkte ich, das Janina vom Blog Perlenmama, auch Erfahrunegn mit einer Beeinträchtigung hatte. Wir kamen ins Gespräch und sie erzählt uns heute ein wenig davon.

Ich heiße Janina, bin 32 Jahre alt, Mutter von bald zwei Töchtern (die Kleine kommt Ende Januar 2017 zu uns). Ich bin derzeit in Mutterschutz/Elternzeit und betreibe mit viel Herz und Leidenschaft seit 2013 den Familienblog „Perlenmama“ (www.perlenmama.de). Hier schreibe ich über alles rund um’s Elternsein, gesellschaftliches, politisches, kreatives, leckeres, praktisches, schönes…einfach ein bunter Blumenstrauß an Themen.

 

Bildrechte Perlenmama

 

Warum bist du heute ein Teil der Blogreihe Eltern mit Behinderungen?

 

Ich bin von Ju gefragt worden Teil dieser Reihe zu werden, da ich auf Twitter an einer Diskussion rund um die Privatsphäre von blinden Menschen teilgenommen habe. Ich habe damit meine eigenen Erfahrungen gemacht als ich fast 3 Jahre mit einem blinden Mann (J.) zusammen war.

 

Wie war das damals? Eine Beziehung zu einem blinden Menschen ist für viele unvorstellbar. Wie habt ihr euch denn kennen gelernt?

 

Ich habe damals in den USA gelebt, genauer in Augusta in Georgia. J. war damals mit seinen Eltern aus Chicago neu in die Gegend gezogen und kannte noch keinen. Er kam als Patient in die Praxis meiner Chefin (ich war Nanny) und beklagte sich, dass er noch niemanden in seinem Alter kennengelernt hätte. Da ich sehr aktiv in der Gruppe der jungen Erwachsenen der Kirche dort war stellte sie den Kontakt her. Wir verstanden uns auf Anhieb gut und irgendwie hat es dann auch relativ schnell gefunkt. Seine Blindheit war nie ein großes Thema (natürlich redeten wir darüber wie es dazu kam etc.). Es fühlte sich einfach richtig und nahezu normal an.

 

Wie war euer Alltag? Hat in eurer Beziehung das „nicht sehen können“ eine große Rolle gespielt?

 

Erstaunlicherweise hat J.‘s Blindheit nur eine minimale Rolle im Alltag gespielt. Klar gab es in der Rollenverteilung halt Dinge, die unabänderlich waren. So war ich halt einfach grundsätzlich diejenige, die gefahren ist, dafür war er derjenige, der für uns kochte (ja wirklich, und wie!). Es gab kleinere Einschränkungen, aber auch die umschifften wir ohne großes Aufsehen. Er war/ist aber auch nicht wirklich ein Mensch, der sich durch sein Handicap einschränken lässt. So gingen wir laufen, klettern, nahmen Tanzkurse. Er war halt sehr auf die Funktionstüchtigkeit seiner kleinen Helferlein angewiesen. Die Uhr sagte die Zeit an, sein Laptop las ihm vor, Bücher waren größer/schwerer/teurer für ihn. Am liebsten hatten wir alles Geschriebene digital, damit er es auf dem Laptop hören konnte…das war vor 13 Jahren noch nicht ganz so einfach wie heute.

Er war ein sehr humorvoller Mensch und nahm die wenigen Einschränkungen, die es gab, mit einem Lachen und gern auch einem Joke hin. Z.B. ging ich in dieser Zeit auf unzählige „Blind-Dates“. Haha, ja ich weiß, eher flach…aber er fand diesen Witz so gut. Er mochte es auch Leuten Streiche zu spielen. So sagte er beim Treffen auf andere gern „gut siehst du aus heute.“ Oder „boah ist die Sonne grell heute, oder?“ und wartete dann darauf wie die Leute reagierten. Das war nicht immer nett, aber manchmal war er auch einfach etwas…naja, trotzig halt. „Wenn die mich nicht ernst nehmen, dann darf ich das auch“ sagte er manchmal. Ich glaube es hat ihn genervt immer den verständnisvollen, höflichen, behinderten Jungen zu spielen, der das mitunter seltsame Verhalten seiner Mitmenschen einfach so hinnahm.

 

Wie haben deine Freunde und Familie auf deinen Partner reagiert?

 

Wie gesagt, ich lebte zu der Zeit in den USA. Meine deutschen Freunde und meine Familie haben ihn leider nie kennengelernt. Aber es war auch dort kein großes Thema irgendwie. Es war einfach so. Klar gab es hier und da auch mal eine „jetzt muss ich das und das aber mal wissen“ Frage, aber das hielt sich in Grenzen. Die Freunde in den USA waren allesamt sehr offen und nahmen ihn direkt und ohne Vorbehalte in die Community auf. Er zog sogar irgendwann in eine Männer WG und erlangte so seine so ersehnte Unabhängigkeit von seiner Familie.

 

Gab es Fragen oder Situationen (von Außenstehenden?) , die zwar „gut gemeint“ waren, aber eher störend oder nervig waren?

 

J. macht(e) halt gern Witze. Auch (oder sogar besonders) gern über seine Blindheit. Er hatte irgendwie im Kopf, dass das die Stimmung lockern würde…dass Leute aber Vorbehalte haben könnten über solche Witze zu lachen kam ihm selten in den Sinn. Leider hatten wir des Öfteren die Situation, dass er einen Witz raushaute und keiner lachte, was ihm dann unangenehm war und dann gab es eine allgemein unangenehme Stille.

Was auch unglaublich nervte war, dass ständig alle dachten, sie müssten auf uns warten. Wir waren meist flotter als alle anderen also gab es viel seltsames Herumstehen bis die anderen verstanden hatten, dass man schon mithalten konnte.

Und dann der stäääändige Körper Kontakt, der ihm aufgezwungen wurde. Dauernd zog man ihm am Arm, an der Jacke, am Blindenstock (echt jetzt), legte ihm wohlwollend den Arm um die Schulter, hakte sich ein. Das war wirklich erstaunlich wie wenig man ihm einen „Personal Space“ zusagte.

Was mich persönlich nervte waren Fragen von quasi fremden bzgl. unseres Liebeslebens. Sorry, aber das bespreche ich WENN ÜBERHAUPT mit meiner besten Freundin. Und nicht mit einer, die ich zwei Mal sah und die sich grad mit Weiswein den Mut zu dieser delikaten Frage angetrunken hat, weil „sie sich das ja schon immer gefragt hätte“. Ja, schön zu wissen worüber du so nachdenkst.

Eine lustige Sache war sein Kleidungsstil. Seine Mutter hatte ihm ja bis zum Beginn unserer Beziehung seine Sachen ausgesucht und besorgt. Und die hatte einfach einen wirklich speziellen…naja eher schrecklichen, Geschmack. Als ich ihn kennenlernte trug z.B. er eine Jeansjacke mit einem Neonfarbenen Huskie als Airbrush-Bild auf dem Rücken und mit Strasssteinchen geschmückt (als 22 jähriger Mann). Und das Beste: Er hatte keine Ahnung…weil auch einfach kein Interesse. Naja…das Shoppen habe ich ab dann übernommen, und irgendwann dann seine Kumpels aus der Männer WG (das war dann die beste Lösung).

 

Was meinst du, woher kommt diese Angst oder das Unwohlsein, bei anderen Eltern, wenn sie Menschen mit Behinderungen treffen?

 

Ich glaube Menschen denken sofort an all die Einschränkungen, die eine Behinderung mit sich bringt. Und sie glauben, dass Menschen, die darunter „leiden“ auch wirklich und wahrhaftig tagtäglich LEIDEN. Und das erfüllt sie mit Mitleid, welches viele nicht adäquat auszudrücken wissen. Also sind viele Leute irgendwie tollpatschig im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Was darf ich sagen? Was kommt wohl nicht gut an? Wohin darf ich gucken ohne zu starren? Usw. Es ist Unwissen gepaart mit Unverständnis. Und auch eine gewisse Unfähigkeit den Menschen vorbehaltlos zu begegnen und nicht lediglich die Behinderung zu sehen.

 

Kennen die Perle und du, auch Menschen mit Behinderungen, oder andere Eltern? Ist das bei euch ein Thema?

 

Wir kennen ein paar Menschen, die leichte Behinderungen haben. Eine ganz neue Bekanntschaft mit einer Mama von einem behinderten Jungen hier in der Nachbarschaft entwickelt sich derzeit. Ein großes Thema war das bisher noch nicht, aber ich hoffe, dass wenn es aufkommt ich ihr vermitteln kann, dass es nichts ist wovor man sich fürchten sollte. Ich wünsche mir für die Perle einfach Normalität im Umgang mit Menschen mit Behinderung.

 

Heute seid ihr kein Paar mehr. Aber das hatte wohl andere Gründe als die Sehbehinderung. Dein Ex – Freund ist heute Papa. Denkst du, er hat besondere Schwierigkeiten in seiner Elternrolle?

 

Nein, unsere Beziehung lief irgendwann in einer guten Freundschaft aus. Ohne böse Worte oder Verletzungen, sie war einfach vorbei, die große Liebe… Heute haben wir aber noch sporadisch Kontakt. J. hat vor ein paar Jahren geheiratet und ist nun seit 2 Jahren selber Papa eines (zuckersüßen!!!) Sohnes. Wir haben zu wenig Kontakt als dass ich wüsste wie es ihm damit genau geht, was seine Herausforderungen in der Rolle als Papa sind usw. Als ich ihn das letzte Mal sah war er gerade frisch verheiratet. Ich kenne seine Frau (sie war im gleichen Freundeskreis) und ich bin mir sicher, die beiden wuppen das ganz großartig. Er hat sich mit zwei Freunden selbstständig gemacht und die drei restaurieren alte Häuser in Downtown Augusta. Er hat seine Talente im handwerklichen Bereich entdeckt und scheint damit sehr glücklich (und erfolgreich) zu sein.

 

Zusatz/Nachtrag

Was ich heute, noch viele Jahre nach der Beziehung, sehr befremdlich finde ist, dass diese Beziehung manchmal so…ich weiß nicht, fast „gelobt“ wird. Als wäre das eine tolle Errungenschaft gewesen oder als würde mich das irgendwie auszeichnen. Ich kann das nicht so ganz verstehen, denn ich war halt Hals über Kopf verliebt in einen Mann, der zufällig auch blind war. Aber seine Blindheit war ja kein Grund dafür. Noch habe ich mich mit meinem ach so guten Herzen dazu niedergelassen trotz Ängsten und Einschränkungen eine Beziehung zu einem blinden Mann einzugehen, ich tolle Frau, ich. Nein, ich war total hin und weg von diesem Menschen, wir haben einfach super gut harmoniert und waren glücklich zusammen. Manche stellen es so dar als müsste er ja unglaublich froh und dankbar gewesen sein, dass ich mich darauf eingelassen habe. Ehrlich, die meiste Zeit habe ich das genau andersrum gefühlt und konnte mein Glück nicht fassen, dass ich so einen tollen Menschen in meinem Leben hatte.

 

Ich glaube Menschen haben einfach noch viel zu viele Vorbehalte als dass sie eine Beziehung zwischen einem Menschen mit und einem ohne Behinderung „ernst“ nehmen können. Sie sehen nur eine Abhängigkeit, eine Imbalance; einen, der wegen eines anderen gewisse Abstriche macht. Das nervt. So sehr. Weil es einfach nicht stimmt. Und ich finde es respektlos. Es war eine stinknormale Beziehung, keiner von uns hat da mehr oder weniger als der andere investiert (also nicht mehr als andere „normale“ Paare auch).

 

Vielen lieben Dank für deine Offenheit und alles Lieb für die Ankunft der Bauperle.

Wer mehr über das Leben und den Alltag von Janina erfahren möchte, dann folgt ihr bei:

 

 

Frühere Beiträge zur Blogreige Eltern mit Behinderungen findet ihr hier:

Eure

Save

wheelymum

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1 Kommentar

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