Viele Frauen mit chronischen Erkrankungen kennen das Gefühl: Kaum steht die Diagnose, tauchen die großen Fragen auf. Darf ich schwanger werden? Kann ich überhaupt Mutter sein? Und was bedeutet meine Krankheit für ein zukünftiges Kind?
Vor kurzem habe ich mit einer jungen Mama gesprochen, die mit Multipler Sklerose lebt. Ihre Erfahrungen und Berichte, decken sich teilweise mit meinen. Nur liegen meine bereits 13 Jahre zurück und ich habe ein etwas anderes medizinische Grunderkrankung. Doch auch ihr Weg zeigt, dass medizinische Fakten und persönliche Entscheidungen manchmal weit auseinanderliegen – und dass Mut und Klarheit viel bewirken können.
Im Gespräch berichtet Linda mir von der schrecklichen Zeit der Verdachtsdiagnose MS 2018. Zunächst versuchte sie, alles zu verdrängen. Unterschiedliche Aussagen von Ärztinnen und Ärzten machten es nicht leichter. Erst Anfang 2020 stand die Diagnose fest.
„Ab da gab es für mich eigentlich nur noch eine einzige Frage: Kann ich Kinder bekommen?“ sagt sie. Diese Frage begleitete sie von da an ständig.
Zwischen Angst und klarer Entscheidung
Im Krankenhaus sprach sie den Kinderwunsch sofort an. Ihre Erinnerung an das Gespräch ist noch immer schmerzhaft: „Der Arzt sagte: Entweder Ihre Gesundheit oder Kinder.“ Für einen Moment schien ihre Welt stillzustehen.
Auch mich triggert das sehr, dann bei mir wollte der Neurologe, dass ich mein Kind abtreibe – da es nicht möglich sei, mich ohne weitere Einschränkungen durch die Schwangerschaft zu bekommen.
Doch die Datenlage bei MS ist eine ganz andere. Aus medizinischer Sicht gilt heute: Eine Schwangerschaft bei MS ist möglich. Die Fruchtbarkeit ist nicht eingeschränkt, auch wenn Studien zeigen, dass MS-Betroffene insgesamt häufiger kinderlos bleiben.
Kinderwunschbehandlungen können ein Schubrisiko bergen – vor allem, wenn die Therapie vorher abgesetzt wurde und es nicht zu einer Schwangerschaft kommt. Gelingt die Schwangerschaft, ist das Risiko nur leicht erhöht.
Früher riet man, Medikamente lange vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen. Heute gilt das als überholt. Vielmehr empfiehlt man, den Kinderwunsch dann anzugehen, wenn die Krankheit gut eingestellt ist. Während einer Schwangerschaft sinkt das Schubrisiko sogar deutlich, nach der Geburt kann es allerdings wieder ansteigen.
Linda informierte sich selbst und der Wunsch und die Entscheidung waren klar: Sie wollte Mutter werden.
„Als ich erfuhr, dass ich schwanger bin, war ich einfach nur glücklich“, erzählt sie mir mit einem Lächeln. Ihre Schwangerschaft verlief unproblematisch, ohne größere Beschwerden. Nur bei der Geburtsplanung wurde das Krankenhaus frühzeitig einbezogen. Eine MS – Therapie setzte sie aus – in Absprache mit der Neurologin und dem Gynäkologen.
Nach der Geburt stimmte sie die Therapie gemeinsam mit ihrer Neurologin ab. Wichtig war ihr, zunächst zu stillen und dann wieder in die Behandlung einzusteigen.
Das alles sind ganz persönliche Entscheidungen, die nicht pauschal getroffen oder verordnet werden können oder sollen. Auf die Frage, was Linda anderen Frauen mit MS raten würde, ist sie sehr deutlich: „Lasst euch nicht entmutigen. Aussagen wie ‚Gesundheit oder Kinder‘ sind schlicht falsch. Jeder Verlauf ist individuell, deshalb sollte man unbedingt offen mit dem Neurologen über den Kinderwunsch sprechen.“
Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrem Kind ein lebendiges Familienleben. Neben ihrer Arbeit engagiert sie sich ehrenamtlich in dem Bereich der Turngruppe im Ort.
Ihre und viele andere Geschichten zeigen, dass MS oder andere Neurologische Erkrankungen nicht das Ende eines Kinderwunsches bedeuten müssen. Vielmehr kann es ein Anstoß sein, eigene Prioritäten klarer zu setzen und sich intensiv mit den Lebenswünschen und seiner Krankheit auseinander zu setzten. Denn die Experten sind oft nicht die Mediziner sondern die Patient:innen.