Inklusion – ein Gastartikel

geschrieben am 22 Feb. 2016

 

Verena Freund ist eine junge Autorin, die – angestoßen durch ihre Cousine – eine wundervolle Geschichte geschrieben hat. Verena hat sich viele Gedanken zum Thema Inkluion gemacht – was genau ist das eigentlich? Darüber schreibt sie heute einen Gastartikel – hier bei mir, was mich unheimlich freut.

 

Inklu- was?
INKLUSION. Das ist so ein sperriges Wort, das zwar viele in den Mund nehmen, mit dem aber nur die wenigsten Menschen, die nicht in das Thema involviert sind, etwas anfangen können. Ich selbst werde mit Inklusion seit meiner Kindheit eher unbewusst konfrontiert:

Meine Cousine (44) ist geistig und körperlich behindert und lebt den Begriff ‚Zugehörigkeit‘ (Übersetzung von ‚Inklusion‘) voll und ganz aus: Für mich ist sie keine Person mit Behinderung, sondern einfach nur meine Cousine und liebe Freundin. Natürlich verursacht ihre Mehrfachbehinderung einige alltägliche Probleme, doch oftmals sind es eher externe Faktoren, die sie behindern. Sie wird behindert: Von defekten Aufzügen, im Kaufhaus versteckten, beinahe unauffindbaren Toiletten, von Personen, die sie unverhohlen anstarren. „Dass auch Nicht-Behinderte auf Behinderte zugehen, das wünsche ich mir“, hat meine Cousine in einem Videobeitrag gesagt. Obwohl sie den Begriff ‚Inklusion‘ nicht definieren kann, hat Heike ihn in diesem einen Satz auf den Punkt gebracht.
Ich selbst beschäftige mich erst seit knapp einem Jahr intensiv und v.a. bewusst mit Inklusion. Im Frühjahr 2015 habe ich ein Projekt ins Leben gerufen, das ich ‚Das Inklusionsprojekt‘ genannt habe: Menschen egal welchen Alters, aber v.a. Kinder und Jugendliche, haben sich in einem Malwettbewerb kreativ mit dem Thema ‚Begegnung‘ beschäftigt und tolle, inspirierende und v.a. aufschlussreiche Bilder gezeichnet, die uns eins zeigen: Lachen, tanzen, heiraten, alles geht! Eine Behinderung darf und kann keine Hürde sein, um lebenslange Freundschaften zu schließen, den Partner fürs Leben zu finden und auf der Tanzfläche richtig ‚abzutanzen‘. Über einhundert Kunstwerke wurden eingereicht, und sie haben nicht nur mir, sondern auch den Besucher/innen meiner Ausstellung in Mainz die Augen geöffnet. Wie kreativ und herzlich wir Inklusion tatsächlich gestalten können und müssen, das haben uns die Teilnehmer/innen meines Malwettbewerbs gezeigt. Aber auch wie steinig der Weg hin zu einer inklusiven Gesellschaft ist, habe ich am eigenen Leib schmerzlich erfahren müssen: Von vielen Institutionen (Zeitungen, aber auch inklusiven Einrichtungen!) und Personen wurde ich nicht ernst genommen, durfte sogar meine Flyer zur Ausstellung in einigen Geschäften nicht verteilen. Über die Hälfte aller Schulen, die ich kontaktiert habe, haben mir noch nicht einmal auf meine Anfragen geantwortet, und selbst der Landesbehindertenbeauftragte zeigte kein großes Interesse an meinem Projekt. Einige Rückschläge musste ich einstecken, und ich stellte fest, wie wenig die Leute doch von Inklusion wissen und leider oftmals auch wissen wollen.

Doch letzten Endes wurde meine Ausstellung ein voller Erfolg: Obwohl ich ‚keinen Namen‘ habe und nur wenig Werbung machen konnte, fanden über 120 Menschen den Weg in meinen kleinen Ausstellungsraum und haben sich, zumindest für wenige Minuten, mit dem Thema Inklusion beschäftigt. Und das war immerhin ein Anfang.

Seitdem blogge ich mehr oder weniger regelmäßig über meine Erfahrungen. Manch einer, der schon ‚Inklusions-Vollprofi‘ ist und sich bereits jahrelang dafür einsetzt, mag die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er/ sie die Einträge meines Blogs liest. Ich stehe noch auf ‚wackligen Füßen‘, bin mir über die Begrifflichkeiten, die ‚politisch korrekt‘                            (Stichwort ‚behindert‘) sind, noch nicht ganz im Klaren, befinde mich noch im ‚Lern-Prozess‘, das gebe ich offen und ehrlich zu. Interessanterweise bezeichnet meine Cousine sich übrigens selbst als ‚behindert‘ oder ‚Behinderte‘. Erst durch mein ‚Eintauchen‘ in die ‚Inklusionscommunity‘ habe ich gelernt, dass viele diese Begriffe als diskriminierend empfinden und dass man besser ‚Mensch mit Behinderung‘ sagt.
Durch meine Cousine, die eine geistige und körperliche Behinderung hat, bin ich persönlich erst mit dem Thema ‚Behinderung‘ in Berührung gekommen. Ich bin damit aufgewachsen. Aber Millionen von Menschen geht das nicht so. Sie haben vielleicht noch nie ein Wort mit einer Person mit Behinderung gewechselt, wissen nicht, wie sie auf sie zugehen sollen, ob man ‚behindert‘ überhaupt sagen darf etc.

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Was ich damit sagen will: Wir lernen und erfahren Dinge nur, wenn wir auch darüber aufgeklärt werden. Das ist der Grundgedanke von Bildung/Erziehung. Wo soll ich sonst Dinge lernen, außer in der Schule, in einem Buch, in einem Gespräch etc.? Ohne Aufklärung erfahren wir nichts. Heutzutage gibt es so viele Möglichkeiten, sich Informationen über bestimmte Themengebiete einzuholen. Das Internet ist eine Quelle, aber auch das Fernsehen und das klassische Medium: das Buch.

Ende Februar erscheint mein erstes Kinderbuch: ‚Im Rollstuhl nach Florenz‘. Ich habe es in erster Linie nicht als Abenteuerroman verfasst, sondern als Aufklärungsbuch. Es soll jungen Leser/innen einen Einblick in die Gefühlswelt eines 13-jährigen Mädchens bieten, das im Rollstuhl sitzt. Dass dessen Behinderung kein Hindernis für ein grandioses Abenteuer ist, ist die versteckte Botschaft, die hoffentlich jeder entdeckt. Mareice Kaiser, Bloggerin auf httpss://www.kaiserinnenreich.de, spricht von der wundervollen aufklärerischen Möglichkeit, die Kinderbücher bieten:
„Den Weg zu einer inklusiven Gesellschaft ebnen können (Kinder-)Bücher.
Deshalb freue ich mich über Verena Freunds Buch „Im Rollstuhl nach Florenz“. Es wird schnell klar: Nicht der Rollstuhl ist die Behinderung der Protagonistin Sophie, sondern die Treppenstufen. Sophie ist nicht behindert, sie wird behindert. Ein wichtiges Thema, auch für Kinder, die oft viel selbstverständlicher mit menschlicher Vielfalt umgehen als die Erwachsenen.“

Es gibt viel zu wenige ‚Romanheld/innen im Rollstuhl‘, v.a. Kinder- und Jugendbuchverlage wagen sich nur selten an das Thema heran. Sehr schade, wie ich finde. Der Stachelbart-Verlag, der mir die Möglichkeit zur Publikation meiner Geschichte bietet, ist ein Verlag, der ‚anders‘ ist, weil er eben nicht auf austauschbare Massenware setzt, sondern auf authentische, lebensnahe Protagonisten, die eben – wie im wahren Leben auch – Krankheiten und/oder Behinderungen haben. Auch, wenn meine Geschichte sicherlich nicht perfekt und dadurch diskussionswürdig ist (Sophie hadert mit ihrem ‚Schicksal‘, sie kommt allmählich in die Pubertät und vergleicht sich mit anderen Jugendlichen, fragt sich, warum sie im Rollstuhl sitzt und ist fieberhaft auf der Suche nach Antworten): Sie hat, so wage ich zu behaupten, zumindest das Potenzial, Kinder/Jugendlichen wie Erwachsenen zu zeigen, was Inklusion bedeuten sollte.
Inklusion bedeutet für mich aber nicht nur Zugehörigkeit, sondern viel mehr: Sie beinhaltet Improvisation, jede Menge Geduld und Kraft, leider spielt auch Geld eine Rolle. Aber der Begriff bedeutet auch: Toleranz, Im-Kleinen-Beginnen, Offensein für Neues, für Vielfalt, für Leben. Inklusion funktioniert nur mittels Aufklärung.
Dass Wheelymum von ihrem Mutter-Sein als Rollifahrerin berichtet, finde ich großartig. Jeder hat ein Anrecht auf Glücklich-Sein, und niemand darf für seine sehnlichsten Wünsche ausgelacht, schief von der Seite angeschaut oder gar verurteilt werden. Im Gegenteil: Solche Personen verdienen meinen Respekt und meine vollste Bewunderung. „Erst die Möglichkeit, einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert“, heißt es in Paulo Coelhos Buch Der Alchimist. Dass die Elternschaft von ‚besonderen Mamas und Papas‘ von vielen noch als No-go betrachtet wird, empfinde ich als pure Diskriminierung und Arroganz. Wheelymums persönliches Schicksal zeigt uns: Wir sind in der Tat noch weit entfernt von einer inklusiven Gesellschaft. Die größten Hindernisse stellen wohl nach wie vor die Blockaden in unseren Köpfen dar: In Wheelymums Fall sind das gedankliche Konstrukte à la ‚das geht doch nicht‘, ‚das darf nicht sein‘ und ‚was soll das bloß?‘
Inklusion bedeutet nicht nur Barrierefreiheit im physisch-haptischen Sinn. Sie umfasst auch eine Ausradierung unserer starren Denkmuster, ein Umdenken in der Gesellschaft hin zu dem kollektiven Gedanken „Es ist schön, dass es dich gibt: du mit all deinen Facetten, Regenbogenfarben, deinem Charme, deinen Geistesblitzen, deinem Witz, deinen Marotten, deinen Hobbys, Wünschen, deinem Denken, deinen Interessen, deinen Ängsten und deinen Träumen, deinen Zielen, deinem Lächeln, deinem Weinen, deinem Du.“

Verena Freund

wheelymum

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