Erstellt am 11. August 2016
Eltern mit Behinderungen. Ich bin immer auf der Suche nach Gastartikeln oder Interview partnern für diese- wie ich finde – so wichtige Reihe. Ziemlich zu Beginn dieser Reihe, habe ich eine Mail einer wunderbaren Frau bekommen. Was sie mir hier alles berichtet hat, war sehr persönlich und ich hatte den größten Respekt vor ihr. Ihre Geschichte und die ihrer Familie ist eine ganz besondere. Sie ist über ihren Schatten gesprungen hat mir diese in Form eines Interviews erzählt. Lebensfroh, liebevoll und mit viel Geduld gehen und rollen sie durch das bunte Leben, zwischen Vorurteilen und Hindernissen. Es gibt so viel zu erzählen, dass ich eine kleine Reihe daraus mache und es aktuell 3 Beiträge dieser Familie geben wird.
Und am Ende? Am Ende siegt die Liebe.
Hallo, ich stelle Euch hier kurz meine besondere Familie vor: Das bin ich (37), mein Mann (47) und unsere drei bezaubernden Kinder (Tochter 9 Jahre, die Jungs 2 ½ Jahre und 1 Jahr). Wir sind seit ca. 15 Jahren ein Paar und wohnen in einem kleinen Städtchen in Baden-Württemberg.
Eure Geschichte ist eine ganz besondere Familiengeschichte. Ihr seid ein wunderbares Beispiel, dass man mit Liebe und Willen, wirklich viel schaffen kann. Mit eurer Gesundheit hattet ihr leider nicht so viel Glück.
Was uns besonders macht ist wohl die Tatsache, dass beide Elternteile schwerbehindert sind und auch unsere Tochter schwer krank zur Welt kam.
Ich wurde mit 16 Jahren von einem Autofahrer angefahren und hatte eine schwere Operation an der Halswirbelsäule (es wurden mittes Metallplatte zwei Wirbel versteift). Es drohte die komplette Lähmung ab dem 5. Halswirbel……Jedoch ging erstmal alles gut….Die Beschwerden kamen schleichend…. Derzeit ist es so, dass ich Migräne habe, Fibromyalgie, Bewegungseinschränkungen durch die versteiften Wirbel und durch Unfallfolgen im Beckenbereich und Rücken ständige Schmerzen. Mein Mann bekam mit etwa 27 Jahren u.a. die Diagnose Multiple Sklerose (MS) und Rheuma. Er ist medikamentös recht gut eingestellt und aufs Erste sieht man ihm davon eigentlich nichts an. Unsere Tochter kam mit einer Spina bifida (offener Rücken) zur Welt. Wir wussten vor der Geburt nichts von Ihrer Behinderung. Im Laufe der Zeit kam noch eine Arnold-Chiari-Malformation, Hüftluxation, Blasenprobleme und Skoliose dazu.
Als ihr Euch entschieden habt Kinder zu bekommen, wusstet ihr da bereits von Euren Erkrankungen? Welche Fragen habt ihr Euch gestellt. Wie hat euer Umfeld reagiert?
Als wir geheiratet hatten, war auch das Thema Kinderwunsch nicht fern und ich lies die Pille weg. Nach einem Jahr überwies mich mein Frauenarzt an die Kinderwunschsprechstunde der nächsten Uniklinik. Da es dort auch nicht recht voran ging, suchte ich mir eine andere Kinderwunschpraxis. Dort war relativ schnell klar, dass aufgrund der MS-Therapie meines Mannes eine ICSI-Behandlung bei Kinderwunsch unumgänglich war. Auch stand fest, dass aufgrund meiner Beckenprobleme ein Kaiserschnitt sehr wahrscheinlich wäre.
Nach einigen Untersuchungen und Bluttest konnte ich im Spätsommer 2005 mit der Hormonbehandlung starten. Ich reagierte relativ gut darauf und es wurden mir kurz vor Silvester zwei befruchtete Eizellen eingesetzt. 3 Wochen später war der positive Schwangerschaftstest da…. Nach weiteren 4 Wochen wurde ich von der Kinderwunschpraxis entlassen und ging zur weiteren Betreuung der Schwangerschaft zu meinem Gynäkologen. Alle Werte waren gut. Nur einer der beiden Embryonen hat sich nicht weiterentwickelt. Somit war ich nun nur noch mit einem Kind schwanger. Die Schwangerschaft verlief eigentlich problemlos. Alle Untersuchen (Nackenfalte, Organ-Ultraschall usw.) waren immer unauffällig. Manche konnten nicht verstehen, dass wir trotz der MS meines Mannes ein Kind wollten…..
Nach einer humangenetischen Beratung vor der Hormonbehandlung wussten wir aber, dass die MS nicht vererbbar ist. Somit hatten wir seitens der Ärzte grünes Licht. Meine Beschwerden waren unfallbedingt, somit war auch hier nichts zu befürchten. Wir sahen also voller Freude unserem Baby entgegen und ließen die Schwarzseher einfach reden. Die meisten der Familie und Freunde freuten sich mit uns, die anderen versuchte ich zu ignorieren.
Ihr habt eine Tochter bekommen, die selbst auch eine Behinderung hat (dazu kommende Woche mehr) und danach noch 2 Söhne. Wie waren die Schwangerschaften und Geburten für dich, als chronisch kranke Mama? Gab es Besonderheiten?
Durch meine Erkrankungen und der dadurch resultierenden Medikamenten – Einnahme, wurden meine Schwangerschaften sehr engmaschig vom Frauenarzt und auch der Uniklinik betreut. Die Therapie musste im Vorfeld neu geplant und abgeändert werden. Ich wusste, dass es harte Monate werden würden. Durch die Probleme mit dem Becken war von vornherein klar, dass ich nur per Kaiserschnitt entbinden kann. Das erste Kind durfte ich noch stillen, was aber aufgrund der ganzen Umstände sehr schwierig war. Die Jungs durfte ich wegen dem Schmerzpflaster leider nicht stillen. Das fand ich schon schade, aber sie wurde nun auch mit Flasche groß und der Vorteil war für mich, dass auch jemand anderes das Füttern übernehmen konnte. Schwierig war es bei der zweiten und dritten Schwangerschaft, dass ich mit dem Tragen der großen Tochter aufpassen musste. Da bekam ich dann jeweils nach harten Kämpfen mit der Krankenkasse für ein paar Wochen eine Haushaltshilfe. Ebenso nach den Kaiserschnitten.
Wie sieht Euer Alltag aus?
Unser Alltag, vor allem meiner, muss gut organisiert sein. In erster Linie ist wichtig, die Zeiten bzw. Zeitabstände fürs Katheterisieren der Tochter einzuhalten. Das bedeutet, zu Schulzeiten täglich zur ersten Pause in die Schule zu gehen und andere Termine danach auszurichten. Muss ich selbst zum Arzt oder die Jungs muss eben auch die Dauer berücksichtigt werden, so dass dann evtl. mein Mann das Katheterisieren übernehmen kann.
Ich bin auch viel unterwegs, da ich den Kindern auch einiges ermöglichen möchte. Meine Tochter muss zu Freunden gebracht und geholt werden, dazwischen evtl. Katheterisieren….. möchte sie z.B. ins Schwimmbad muss ich ganz dabei bleiben. So muss ich auch immer planen, was ich an medizinischer Ausstattung für sie und was an Babynahrung etc. für den kleinsten brauche.
Wenn wir weggehen ist also auch immer die frage, wie lange sind wir weg, was brauchen wir unterwegs und ist es dort barrierefrei bzw. haben wir die Möglichkeit mit ihr Pipi zu machen……die ein oder andere Einladung ins Restaurant haben wir auch abgesagt, weil zu viele Stufen da waren und sie mit dem Rollstuhl nirgends allein hingekommen wäre.
In wie weit spielen Eure Krankheiten in eurem „Eltern“ – Leben eine Rolle?
Unsere Erkrankungen bzw. die Einschränkungen dadurch, sind alltäglich für alle spürbar. Unsere Kinder lernen von klein auf, dass wir z.B. etwas mehr Erholungspausen brauchen als andere und dann auch mal ein Babysitter oder die Oma auf sie aufpassen. Auch dass der Tagesablauf oder Pläne dem Befinden angepasst werden müssen. Andererseits versuche ich auch, in guten Phasen, meinen Kindern vieles zu ermöglichen. Bisher gab es noch keine Probleme oder Beschwerden ….. wie es, grade bei den Jungs, mit zunehmendem Alter ist, kann ich noch nicht absehen. Ich hoffe, dass sie bis dahin das entsprechende Verständnis für unserer Situation haben.
Zeit für gemeinsame Unternehmungen gab es lange nicht. Erst die letzten 2 Jahre etwa, gehen wir mal zusammen auf ein Konzert oder ins Kino. Das ist etwa 3-4 mal im Jahr. Denn oft sind wir abends viel zu erschöpft um noch etwas zu unternehmen. Da sitzen wir eher gemütlich auf der Couch..
Habt ihr Kontakt zu anderen Eltern, die eine Behinderung oder chronische Krankheit haben? Wo könnt ihr euch austauschen?
Wir sind in einem Verein aktiv, der sich um die Inklusion von behinderten Kinder besonders in Schule und Kindergarten kümmert. Auch haben wir in den letzten 9 Jahren viele Eltern über diverse Netzwerke kennen gelernt. Über die Therapie, die unsere Tochter macht, haben wir ebenfalls Kontakt zu anderern Familien. Jedoch sind alle von verschiedenen Behinderungen betroffen. Familien mit Spina bifida-Kindern kennen wir nur zwei.
Manchmal möchte man auch nicht zuviel Kontakt, denn dann dreht sich wieder alles nur um Krankheit, Behinderung, Operationen. Ich bin manchmal froh, wenn man über die alltäglichen Sorgen mit Kinder sprechen kann….Pubertät, Zahnen, schlaflose Nächte…..das bringt ein kleines Stückchen Normalität. Unter anderem deshalb engagiere ich mich auch als Elternbeirätin in Kindergarten und Schule….Das hat einfach mal nichts mit den ganzen Besonderheiten zu tun, zugleich kann ich aber auch etwas für die Inklusion tun.
Was wünscht ihr Euch für Eure Zukunft?
Ich für mich wünsche mir für die Zukunft mehr Akzeptanz für Menschen mit Behinderung. Auch wünsche ich mir, dass mehr für Familien mit behinderten Kindern getan wird. Ebenso sollte der Besuch einer Regelschule von körperbehinderten Kindern möglich sein, ohne diesen ganzen bürokratischen Aufwand. Warum werden diese Kinder so viel anders gemacht?
Für meine Familie, im besonderen meine Tochter, wünsche ich mir von Herzen, dass etwas Stabilität im gesundheitlichen Bereich einkehrt und nicht von Zeit zu Zeit eine neue Diagnose mit weiteren Einschränkungen dazu kommt. Und vor allem, dass sie von weiteren Operationen verschont bleibt. Denn das wird nie zur Gewohnheit werden….Diese Hilflosigkeit, dieses Gefühl, wenn man sein Kind mal wieder in den OP schiebt…….
Vielen Dank für diese offenen Worte.
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Vielen Dank für diesen ehrlichen Beitrag. Ich wünsche mir, dass es zukünftig für Eltern mit Behinderung mehr Möglichkeiten der Teilhabe gibt.