Siehst du mich – Gedanken zur Spendenkampange

Ich bin einkaufen. Der Wocheneinkauf für unsere Familie. Als wir den Parkplatz verlassen, sehe ich ein großes Poster. Darauf zusehen ist eine Person mit Behinderung und der große Schriftzug: “Siehst du mich?!” Ich habe ein Seltsames Gefühl als ich das Bild anschaue.

Zwei Tage später sehe ich das nächste Poster – eine andere Person, eine andere Behinderung. Der gleiche Schriftzug “Siehst du mich?” Die Person die zu sehen ist, bekommt Hilfe von einer nicht Behinderten Person. Alles fein soweit und doch sträubt sich alles in mir. Eine Bekannte steht neben mir – sie sieht meinen Gesichtsausdruck. Sie fragt mich:  “Findest du das nicht gut? Es zeigt doch, dass wir einander helfen und unterstützen können. Spenden können die bestimmt auch immer brauchen.” Ich brodle. Atme. Ein und Aus und dann beginne ich zu erklären. Mal wieder.

Was ist Inklusion, was ist Hilfe, was ist Teilhabe.

Warum stört mich alles an dieser Kampange? Bethel hat seine alljährliche Spendenkampagne gestartet. Der Bielefelder Großanbieter der Behindertenhilfe hat eine Reihe Portraits von Schülern seiner Förderschule und von Menschen aus seinen Werkstätten und Wohnanlagen. Die Kampagne bringe „den inklusiven Gedanken, der der diakonischen Arbeit Bethels voransteht, auf den Punkt“, sagt Bethel. Genau das ist das Problem! Das Anbieter der Behindertenhilfe ihre Aufgabe nicht wahrnehmen. Es gibt einen Begriff dafür: Inklusions-Washing:

Der Begriff für Strategien, bei denen Organisationen Inklusion nach außen demonstrieren, ohne strukturelle Barrieren abzubauen oder reale Teilhabe zu schaffen. Es ersetzt Veränderung durch Imagepflege.

Wikipedia

Ganz ehrlich  – siehst du mich? Ja ich sehe dich und ich sehe alles was dahinter steckt. Die Menschen, die dort auf den Plakaten stehen, leben nicht in einem inklusiven System. Sie leben in Strukturen, die von denselben Einrichtungen betrieben werden, die diese Kampagne jetzt als „authentische Nähe“ verkaufen. Werkstätten, Sonderschulen, Wohnheime – alles Orte, die man öffentlich gern als Schutzräume beschreibt, die aber faktisch Parallelwelten sind. Und wer diese Parallelwelten baut, organisiert und finanziert, kann nicht gleichzeitig von echter Inklusion sprechen.

Wenn Bethel sagt „Siehst du mich“, dann sehe ich auch etwas, das sie nicht zeigen: die Barrieren, die sie selbst stabilisieren. Die Werkstattplätze, die Menschen auf unbestimmte Zeit binden. Die Schulwege, die sie aus dem allgemeinen Bildungssystem herausführen.

Die Kampagne bringe „den inklusiven Gedanken, der der diakonischen Arbeit Bethels voransteht, auf den Punkt“, sagt Bethel.

Mir wird schlecht. Ein „inklusiver Gedanke“ ersetzt kein inklusives Handeln.

Die Kampagne nutzt reale Menschen, reale Biografien. Aber die Botschaft wird dadurch nicht wahrer. Es wirkt, als solle ich hingucken – aber nur in die Richtung, die gewollt ist. Nicht auf die Werkstattlöhne. Nicht auf die Sonderbeschulung. Nicht auf die strukturelle Abhängigkeit. Nicht auf das Muster, das sich seit Jahrzehnten wiederholt und mit jedem neuen Plakat nur schöner verpackt wird.

Ich nehme den Satz „Siehst du mich“ ernst. Und gerade deshalb reicht er nicht. Denn ich sehe die Menschen. Aber ich sehe auch die Strukturen, die ihnen Wege versperren, die sie nicht selbst gewählt haben. Und ich sehe, wie eine Kampagne versucht, genau diesen Teil unsichtbar zu halten.

Also überlegt euch lieber genau, an wen ihr spendet oder wo die Weihnachtsgeschenke produziert werden, die ihr liebevoll aussucht.

 

Eure Wheelymum

wheelymum

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