Es war einen Versuch wert und erforderte erstmal keine Entscheidung für oder gegen das Kind. Ich konnte mit der Behandlung starten, beobachten, wie mein Körper darauf reagiert und die Entscheidung darauf aufbauen. Fast wöchentlich wurden neue Werte bestimmt und ich saß auf heißen Kohlen, bis ich am nächsten Tag das Ergebnis am Telefon bekam. Und wieder und wieder wurden die Werte langsam aber sicher besser. Auf einmal war ich in der zwölften Woche und alles sah nicht mehr ganz so düster aus. Das Medikament schien zu wirken, dem Baby ging es super. Wir waren optimistisch, dass der allerschlimmste Fall nicht eintreffen würde und hofften, dass es einfach so lange wie möglich gut geht, ohne Verschlechterung der Werte, ohne Präeklampsie, ohne Frühgeburt.
Da mein Partner und ich nicht verheiratet waren, habe ich die Ärzt:innen ihm gegenüber von ihrer Schweigepflicht entbunden (mit einem Dokument ähnlich z.B. diesem:
https://www.rechtstipps.de/download/vorsorgeplaner/175-175_Krankheitsfall_Entbindung-Schweigepflicht.pdf), eines hatte ich immer in meinem Mutterpass, eines hatte mein Partner). Außerdem war uns wichtig die Vaterschaft und das gemeinsame Sorgerecht bereits vor der Geburt beim Jugendamt festzuhalten, damit im Falle, dass doch etwas schief läuft und es mir nicht gut geht, mein Partner zu seinem Kind darf und auch Informationen über mich bekommt.
Eigentlich wollte ich auch eine Patientenverfügung machen. Es war ja nicht so unwahrscheinlich, dass es zu Komplikationen kommen würde, die unter Umständen auch lebensgefährlich sein würden. Doch bei der Recherche habe ich nichts gefunden, was mich angesprochen hätte. Als alter Mensch lässt es sich vielleicht leichter sagen: Ich habe mein Leben gelebt, schöne Dinge gemacht und möchte nicht, dass mein Leben durch Maschinen künstlich verlängert wird. Aber ich? Um die 30? Als dann frisch gebackene Mutter? Natürlich muss eine Patientenverfügung nicht heißen, dass man alle Maßnahmen ablehnt. Aber es fiel mir sehr schwer, mir vorzustellen, was genau passieren könnte und was ich in diesen Situationen gerne hätte. Schlussendlich habe ich nichts gemacht, würde mir aber wünschen, dass es hier mehr Aufklärung auch für junge Menschen und Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen gibt.
Nach 9 Monaten dann das Wunder: mit fast normalen Werten meinerseits wurde unser Kind geboren: Wir beide: gesund! (Die Autoimmunkrankheit habe ich natürlich immer noch, aber die Symptome sind aktuell fast weg.)Und jetzt sitze ich hier mit meinem Kind, das fröhlich einen Stoffwürfel durch die Gegend wirft, durch die Gegend krabbelt und vor Freude juchzt, wenn Mama oder Papa Quatsch machen. Ich bin sehr froh, dass sich meine Geschichte so entwickelt hat, dass es zu keiner Situation kam, in der eine schwere Entscheidung getroffen werden musste. Ich bin froh, dass das Medikament so schnell und so gut gewirkt hat, dass es mir erlaubt hat, optimistisch zu sein, dass es für uns beide gut aus geht. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist und manche Menschen vor solche Entscheidungen gestellt werden. Ich möchte hier nicht so tun, als ob das Leben ein Friede-Freude-Eierkuchen-Leben ist, in dem es immer ein Happyend gibt. Und doch ist es eine Geschichte einer Frau mit chronischer Krankheit und einem Kinderwunsch und gibt – hoffentlich – einen kleinen Einblick in ihre Gefühls- und Gedankenwelt.
Da zeigt sich mal wieder, dass Eltern mit einer Behinderung noch zu wenig sichtbar sind.