Eltern mit Behinderung: Politische Stellungnahme des BBe e.V

Erstellt am 26. Mai 2016

Heute wird es politisch in der Blogreihe. Wieso dieser Blog nun noch poitisch werden möchte? Nein, das möchte ich gar nicht. Vielmehr geht es mir darum, um auf die Politik aufmerksam zu machen. Denn aktuell geschieht hier sehr viel. Und leider nicht immer nur zum Guten. Ein Beispiel dazu zum Bundesgleichstellungsgesetz findet ihr hier.

Dieses Gesetz ist der erste Teil. Im zweiten Teil geht es um das Bundesteilhabegesetz. Dazu war ich auf dem Europäischen Protesttag in Berlin. Warum uns das alle etwas angeht? Menschen mit behinderungen gehören in unsere Gesellschaft dazu. Gleichzeitig sind sie prozentual zu gering vertreten um eine große Menschenmassen zu bewegen. Inklusion setzt aber genau hier an. Nicht nur Menschen mit Behinderungen müssen sich für ihre Menschenrechte stark machen. Sondern auch Nichtbehinderte. Denn eine Behinderung kann jeden von uns treffen. Immer. Und dann sitzt ihr mit im Boot.

Ich veröffentliche heute hier die Stellungnahme des Bundesverbandes für Behinderte und chronisch kranke Eltern. Lest ihn euch durch, ich finde eer ist sehr nachvollziehbar geschrieben. Wer sich den Entwurf anschauen möchte, kann dies hier auf der Seite des BMAS gerne tun.

Stellungnahme des bbe e. V. zum Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes vom 26.4.2016
Im Referentenentwurf zum Bundesteilhabegesetz kann man im ersten Teil mehrfach lesen, dass die Bedarfe behinderter Eltern berücksichtigt werden sollen und Assistenzleistungen auch Leistungen für Eltern mit Behinderung sein können. Das begrüßen wir sehr.
Leider fehlt der Verweis im 2. Teil des SGB IX, wo es um die Leistungen zur Sozialen Teilhabe geht aber fast komplett. In dem für körper- und sinnesbehinderte Eltern hauptsächlich zuständigen Teil der Eingliederungshilfe werden Eltern mit Behinderung lediglich erwähnt, wenn es um das Recht auf eine Gesamtplankonferenz geht. Hier sehen wir sowohl positive Diskriminierungstatbestände, als auch negative. Sowohl bei Assistenzleistungen zur Sozialen Teilhabe als auch bei Hilfsmitteln wird im 2. Teil des SGB IX nicht erwähnt, das damit auch Leistungen für Eltern mit Behinderungen bei der Versorgung ihrer Kinder inbegriffen sind.

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Nur gemeinsam kann es funktionieren

 

2. Teil Kapitel 2
§ 99 Leistungsberechtigter Personenkreis
Hier können wir nicht erkennen, in welchen der zukünftig zu unterscheidenden Lebensbereiche das Thema Elternschaft gefasst werden soll. Auch hier ein Beispiel aus der Praxis: Wenn z. B. eine rollstuhlfahrende Mutter zu Elternabenden, bei Einkäufen für das Kind, bei Besuchen mit Kind bei Verwandten oder bei anderen Familien und beim Arztbesuch mit ihrem Kind Assistenzleistungen benötigt, in wie vielen Lebensbereichen hat sie dann Unterstützungsbedarf? Im Prinzip hat die Mutter nur Unterstützungsbedarf im Lebensbereich Mobilität. Wenn die Assistenz vorhanden ist, kann sie in anderen Lebensbereichen teilhaben. Ohne Assistenz hat die Mutter in mehreren Lebensbereichen Unterstützungsbedarf. Statt einfach nur nachzuweisen, wo Unterstützungsbedarf vorliegt, muss die Mutter nun nachweisen, dass sie in mindestens fünf Lebensbereichen ohne Unterstützung nicht teilhaben kann.
Ein armamputierter Vater, der Assistenz beim Wickeln, Waschen und Tragen des Kindes benötigt, in wie vielen Lebensbereichen gilt er als teilhabeeingeschränkt, wenn er vor seiner Vaterschaft nur Arbeitsassistenz in Anspruch nehmen musste?
Wir können nicht erkennen, dass durch § 99 eine Abkehr vom Defizitdenken gelingen kann. Wir sehen dadurch die Gefahr, dass das Defizitdenken sogar noch verstärkt wird, weil man sich in fünf Lebensbereichen als unterstützungsbedürftig definieren muss, um in einem Lebensbereich – hier im ersten Beispiel Mobilität – Assistenz zu bekommen. Ein solch bürokratisches Verfahren ist unserer Erfahrung nach höchst anfällig für willkürliche Interpretationen der einzelnen Mitarbeiter*innen und kann zu vielen langwierigen Rechtsstreitigkeiten führen. Das bedeutet für Eltern mit Behinderungen und ihre Kinder lange Zeiten ohne auf Elternassistenz. Minderjährige Kinder werden weiterhin durch fehlende Elternassistenz in die Übernahme von elterlichen Aufgaben gedrängt. So wird Artikel 23 der UN-BRK nicht umgesetzt werden können.
2. Teil Kapitel 6 Leistungen zur sozialen Teilhabe
Hier fehlt im 2. Teil des Referentenentwurfs § 113 grundsätzlich der Verweis, dass Leistungen zur sozialen Teilhabe auch Leistungen beinhalten, die zur Versorgung von Kindern behinderter Eltern notwendig sind. Während im ersten Teil im § 78 bei Assistenzleistungen explizit erwähnt wird, dass Assistenzleistungen auch Leistungen für die Versorgung von Kindern behinderter Eltern sind, bleiben z. B. Hilfsmittel zur Versorgung der Kinder behinderter Eltern im § 84 außen vor. Damit obliegt es der Interpretation der leistungsbewilligenden Stelle. Diese Unklarheiten haben in der Vergangenheit oft zu Leistungsverweigerungen geführt. Im 2. Teil Kapitel 6 soziale Teilhabe werden Leistungen für Eltern mit Behinderung nicht einmal erwähnt. Auch hier wird suggeriert, dass die Eingliederungshilfe nicht für Leistungen behinderter Eltern zuständig ist, andere Leistungsträger schon. Erfahrungsgemäß ist es in der überwiegenden Mehrheit der antragstellenden Familien genau umgedreht. Oft bleibt nur die Eingliederungshilfe, weil bei alle anderen Leistungsträgern die Hilfen für Eltern mit Behinderung per Gesetz ausgeschlossen sind.
§ 119 Gesamtplankonferenz
Durch die Erwähnung nicht näher bezeichneter weiterer Leistungsträger für die Bedarfe behinderter Eltern in § 119 wird suggeriert, es gäbe neben der Eingliederungshilfe andere Leistungsträger, die Elternassistenz leisten. Dies ist aber sehr selten der Fall (z. B. nur bei Behinderungen, für deren Folgekosten die gesetzliche oder private Unfallversicherung oder die Opferentschädigung zuständig ist). Die gesetzliche Krankenversicherung, die gesetzliche Pflegeversicherung sowie die Kinder- und Jugendhilfe stellen keine Elternassistenz im Sinne behinderungsbedingter Hilfen bei der Versorgung der Kinder behinderter Eltern zur Verfügung, weshalb es der (sonst nachrangigen) Eingliederungshilfe obliegt, die Hilfen für die Versorgung der Kinder zu finanzieren. Lediglich Familienhilfen, die aufgrund einer Kindeswohlgefährdung durch mangelnde oder auch zeitweise fehlende Erziehungskompetenz verursacht sind, werden durch die Kinder- und Jugendhilfe gesichert. Die Pflegeversicherung interessiert die Tatsache Elternschaft bei der Bedarfsermittlung nicht, der Bedarf der Kinder darf nicht berücksichtigt werden. Die Krankenversicherung leistet ausdrücklich keine Haushaltshilfe oder Kinderbetreuung, wenn der Elternteil chronisch krank oder behindert ist, (weil die
Krankheitsursache chronisch ist und Mutter oder Vater den Haushalt deshalb aufgrund der Behinderung vorher auch nicht selbst erledigt haben).
Zur Einbeziehung anderer Leistungsträger… bei Anhaltspunkten: Laut §119 Absatz 4 sollen mit Zustimmung der Leistungsberechtigten weitere Leistungsträger oder Personen aus dem sozialen Umfeld der Eltern einbezogen werden. Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Was ist, wenn die antragstellenden Eltern die Erfahrung machen mussten, dass ihre eigenen Eltern oder Nachbarn den antragstellenden Eltern in die Erziehung hinein reden und die Kinder diese unterschiedlichen Erziehungsstile als verwirrend erleben? Wird den antragstellenden Eltern zukünftig die Elternassistenz wegen fehlender Mitwirkung verwehrt werden können, weil sie der Einbeziehung dieser freiwillig Hilfeleistenden nicht zugestimmt haben? Muss eine Mutter zustimmen, dass ihr 6-jähriges Kind in die Gesamtplankonferenz eingeladen wird, um es zu fragen, ob es sich zukünftig selbst das Brot für die Schule schmiert und das 10-jährige Kind mittags das Essen selbst kocht und die Wäsche selbst wäscht? Damit wurden minderjährige Kinder bereits in der Vergangenheit in Loyalitätskonflikte gebracht. Dies ist laut den allgemein anerkannten Kriterien zur Beurteilung von Kindeswohlgefährdung dann staatlich geförderte Gefährdung des Kindeswohls. Diese noch immer alltägliche Praxis mancher Eingliederungshilfemitarbeiter*innen gilt es mit einem UN-BRK-konformen Bundesteilhabegesetz zu verhindern, statt es, wie im Referentenentwurf beschrieben, sogar zu fördern.
Erfahrungsgemäß kehren sich solche Rechte der Einbeziehung mit Zustimmung der Leistungsberechtigten im Antragsalltag oft um und werden zu Verpflichtungen mit Androhung der Einstellung des Antragsverfahrens aufgrund fehlender Mitwirkung der Leistungsberechtigten. Statt die Unterstützung des sozialen Netzwerkes zu fördern, wird durch die verpflichtende Teilnahme am Gesamtplanverfahren eher das Gegenteil erreicht. Freunde und Familien, ja sogar Nachbar helfen gern – freiwillig. Wenn Familienmitglieder, Freunde oder Nachbarn mit einer offiziellen Einladung zur Gesamtplankonferenz unter Umständen moralisch unter Druck gesetzt werden, können die familiären und sozialen Beziehungen belastet bzw. empfindlich gestört werden.
Warum sollen Menschen mit Behinderungen nur dann, wenn sie als Eltern Unterstützung beantragen, einen Rechtsanspruch auf die Durchführung einer Gesamtplankonferenz haben? Wir sind der Meinung, dass alle Menschen mit Behinderung auf eigenen Wunsch grundsätzlich einen Anspruch darauf haben, dass die Hilfen mit ihnen gemeinsam geplant werden und nicht durch Schriftverkehr und Aktenlage über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Diese gemeinsame Planung fordert auch die UN-BRK, in dem sie die Einbeziehung von Menschen mit Behinderung bei allen Angelegenheiten als Maßstab benennt. In der
Budgetverordnung zum Persönlichen Budget wurde dieses Prinzip der Einbeziehung der Leistungsberechtigten umgesetzt. Das hat positive Effekte für die Bedarfsermittlung erzielt. Das darf jetzt nicht wieder rückgängig gemacht werden!
2. Teil Kapitel 9
Einkommen und Vermögen § 135 – 142
Positiv ist zu bewerten, dass das Kindergeld ebenso wie der Unterhalt des nicht mit Kindern zusammenlebenden Elternteils nicht mehr berücksichtigt wird, sondern lediglich das Einkommen der antragstellenden Person nach Einkommenssteuergesetz oder Bruttorenten berücksichtigt wird. Das begrüßen wir sehr.

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Grundsätzliche Kritik:

Wenn in der Familie ein Familienmitglied Hilfe zur Pflege benötigt, würde die Vermögensgrenze der gesamten Familie auch weiterhin bei 2.600 Euro verbleiben und damit wieder in der Armutsfalle bleiben. Das ist nicht hinnehmbar.
Wenn eine Partner*in Vermögen mit in die Familie bringt oder später erbt, würde es bis auf 25. 000 Euro (später 50.000 Euro) weder dem behinderten Elternteil, noch den Kindern oder Partner*innen zur Verfügung stehen. Partnerschaft, Ehe und Familiengründung sind damit noch immer stark benachteiligt. Wenn eine Vermögensgrenze, dann muss die Größe der Familie eine Rolle spielen.

 

Da die Bezugsgrößen nach § 18 SGB IV aber nach Ost und West unterschiedlich sind, müssen Menschen in den neuen Bundesländern mehr Eigenbeitrag (50-100 Euro monatliche Differenz) bei Eingliederungsleistungen zahlen. Womit ist das begründet?
Ob antragstellenden Familien tatsächlich mehr Geld zur Verfügung steht, richtet sich allerdings danach, welches Einkommen tatsächlich herangezogen wird. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass auch steuerliche Vorteile für Menschen mit Behinderungen nicht aufgezehrt werden. Nach § 135 werden dagegen zukünftig die Einkommen nach § 2 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes sowie Rentenbruttobezüge herangezogen. Im Abs. 2 werden lediglich Werbungskosten abgezogen. Die Freibeträge aufgrund von Behinderung sind allerdings erst im §2 Abs. 3 ff des Einkommensteuergesetzes geregelt.
Welche Einkommen aus dem Einkommenssteuerbescheid werden tatsächlich zur Berechnung zugrunde gelegt?

Im amtlichen Steuerbescheid für das Jahr 2015 gibt es drei Begriffe:
-„Gesamtbetrag der Einkünfte“ – inklusive Abzug von Werbungskosten und Alleinerziehenden-Freibetrag,
-„Einkommen“ – inklusive Abzug von Alternsvorsorgeaufwendungen und Pauschbetrag für Menschen mit Behinderung,
-„zu versteuerndes Einkommen“ – inklusive Abzug von Kinderfreibeträgen,

Den Begriff „Summe der Einkünfte“ gibt es im aktuellen Steuerbescheid 2015 nicht. Hier ist eine Klarstellung notwendig, um die vom Gesetzgeber gewollte Berücksichtigung der Freibeträge zu erreichen.

Unklar bleibt auch, warum die steuerliche Ermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen, die von Menschen mit Behinderung aufgrund der Behinderung oft genutzt werden müssen, nicht ebenfalls berücksichtigt wird.
Wir sehen im Referentenentwurf hinsichtlich der Bedarfe behinderter Mütter und Väter noch deutlichen Klarstellungsbedarf und erwarten die Umsetzung der UN-BRK, nach der Behinderung nicht zu Benachteilungen führen darf.
Desweiteren erwarten wir, dass die Menschenrechte nach freier Wahl des Wohnortes, der Familiengröße und der Arbeit nicht durch Einschränkungen des SGB IX hinsichtlich der Kosten oder durch gesetzlich mögliches Zwangspoolen von Leistungen eingeschränkt werden. Diesbezüglich schließen wir uns der Kritik der ISL e. V. an.

Kerstin Weiß
für den Vorstand des bbe e. V.

 

Wer sich von Euch noch näher informieren möchte, dem lege ich folgende Internetseiten ans Herz:

wheelymum

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