Eltern mit Behinderung: Mit Liebe zum Leben und zum zweiten Kind (Mama im Rollstuhl)

Eltern mit Behinderungen

Wheelymum – so nenne ich mich in dieser Internetwelt. Und plötzlich habe ich wheelymum84 kennen gelernt. Wir kamen in Kntakt und haben eine Gemeinsamkeit festgestellt. Ich wurde gerde zum zweiten Mal Mama und wheelymum84 war zu diesem Zeitpunkt mit dem  zweiten Kind schwanger. Wir kamen “ins Gespräch” und sie hat sich bereit erklärt, hier einen Gastbeitrag zu scheiben – dieser kommt jetzt:

 

Hallo Welt. Mein Name ist Anne Jürgens und ich bin 34 Jahre alt. Wenn ich mir mein Alter gerade bewusst vor Augen halte, stelle ich fest, dass ich bereits mein halbes Leben mit dem Rolli unterwegs bin. Das war mir vorher gar nicht so bewusst.

Mit 17 Jahren hatte ich einen Unfall mit meiner Vespa auf der Landstraße. Der Jeep, der aus dem Feldweg kam, sah mich nicht, fuhr mir in die Seite und drängte mich in den Gegenverkehr. So kann es laufen und seit 2002 habe ich nun eine Querschnittslähmung im Bereich des 11. Brustwirbels bis zum 2. Lendenwirbel.

Es hört sich seltsam an, aber als die Ärzte mir sagten, dass ich voraussichtlich nicht mehr laufen könne und mein Leben lang auf einen Rollstuhl angewiesen sei, war mein erster Gedanke. Wie blöd sieht das denn bitte in einem Brautkleid aus. So kannst Du ja gar nicht mehr den Gang in der Kirche runterschreiten und die Blicke auf dich ziehen. Nicht, dass ich damals besonders heiratswütig war, ich hatte zu dieser Zeit noch nicht mal einen festen Freund. So spielt der Kopf einem die ein oder anderen Tricks.

 

Wer hätte gedacht, dass ich nun mit meinem Ehemann und meiner 2 jährigen Pauline in einem wunderschönem Eigenheim wohne, viele vielseitige Reisen unternehme, einen tollen Beruf bei „einer großen deutschen Bank“ habe, Spaß mit einem Nebenjob bei der Firma Rollimoden und unsere 2. Tochter Charlotte erwarte. Und auch meine Hochzeit habe ich in einem wunderschönen Brautkleid erlebt. Halt im Sitzen. Ja, auch wenn dies ein riesiger Zeitsprung von 17 Jahren in meinem Leben war, ihr lest richtig. Ich habe die Herausforderung angenommen und gekämpft. Mit Hilfe der besten Familie und Freunden der ganzen Welt. Ich werde wieder Mama. Trotz Rollstuhl, Querschnittslähmung, Vorurteilen anderer und eigener Ängste. Denn nur eins zählt. Unsere kleine Familie und die unendliche Liebe zueinander.

Ich bin aktuell in der 37. Woche schwanger und die Babykugel ist ganz schön riesig. Aber ich bin auch ganz schön stolz auf mich, da ich mit meiner ersten Tochter Pauline zur jetzigen Schwangerschaftsdauer bereits mit Nierenstau, Nierenbeckenentzündung und damit verbundenen höllischen Schmerzen im Klinikum in Aachen lag. Jetzt bin ich noch zu Hause bei meinen Lieben. Natürlich brauche ich Hilfe bei dem ein oder anderen Transfer, bekomme den Rolli nicht mehr gut ins Auto gehoben und auch beim Duschen sind meine Füße in unerreichbare Weiten gerückt. Aber wie bisher in meinem ganzen Leben bekommen wir Hilfe von der Familie, insbesondere von meiner Mama und so kommen wir wunderbar zurecht. Mein Mann Michael arbeitet seit der Geburt unserer ersten Zwergin im Homeoffice und hier kann er auf Abruf schon mal einspringen. Auch Pauline geht seit Ende August 2018 in den Kindergarten und wird jeden Tag 6 Stunden bespaßt. Dies erleichtert mir den Alltag. Ich bin zwar aktuell bereits offiziell in Mutterschutz, aber das weiß eine 2-jährige ja nicht. Toben mit Mama und auf dem Boden spielen ist halt aktuell nicht drin und da freue ich mich jeden Tag, wenn die Zwergin ausgepowert aus der Kita kommt.

Natürlich bringt sie mir fast täglich neue Krankheiten mit nach Hause. Husten Schnupfen, Verdacht auf Ringelröteln etc. Seit September machen wir hier einiges mit. Es ist immer sehr lustig, wenn angekündigter Besuch absagen will, weil er verschnupft ist und mir dies in der fortgeschrittenen Schwangerschaft nicht mehr antun will. Ich habe jede Nacht ein verrotztes, hustendes Kleinkind direkt neben mir im Bett liege. Ich sage dann: „komm doch einfach trotzdem. Wahrscheinlich fliegen hier mehr Kita Bakterien rum als bei Euch zu Hause.“

 

Mir geht es immer noch besser als bei meiner ersten Schwangerschaft um die Zeit und ich hoffe, den geplanten Kaiserschnitttermin zu erreichen. In nur noch 2 Wochen ist es so weit. Bei Pauline habe ich den Abschluss der 37. Woche leider nicht geschafft. Hier wurde der Kaiserschnitt aufgrund der Nierenbelastung vorzeitig durchgeführt und sie kam in der 36+6 zur Welt. Ein Tag später und Sie wäre kein Frühchen mehr gewesen. Leider kam Sie dadurch auch auf die Kinderstation und wir waren erst einmal 3 Tage getrennt. Da dies für mich eine unheimliche psychische Belastung darstellte, ist es mein großes Ziel, unsere Charlotte so lange wie möglich bei mir zu behalten und den geplanten Kaiserschnitttermin zu erreichen. Ich möchte natürlich auch so schnell wie möglich wieder aus der Klinik um bei meiner kleinen Familie zu sein.

Da der Krankenhausaufenthalt bei Pauline sehr belastend war und ich mir zu den Schmerzen des Kaiserschnitts und der neuen Situation mit Baby auch noch einen Krankenhauskeim eingefangen hatte, haben mir viele Menschen gesagt: „Respekt, dass ihr euch für ein 2. Kind entschieden habt. Damit hätten wir nicht gerechnet.“ Selbst meine eigene Mutter war von der frohen Botschaft des positiven Schwangerschaftstest Anfang des Jahres mehr als überrascht.

Was soll ich dazu sagen. Klar war es eine harte Zeit, aber das Leben ist halt kein Ponyhof und ich habe noch nie den einfachen Weg gewählt. Was sind 6 Monate Schmerzen und Unannehmlichkeiten gegen ein ganzes Leben. Pauline wird eine Schwester haben, mit der sie gemeinsam aufwachsen kann. Ich hoffe, die beiden werden eine innige Beziehung haben und immer füreinander da sein. Mir ist es sehr wichtig, dass meine Kinder keine Einzelkinder sind, denn Blut ist nun mal dicker als Wasser.

 

 

Und so kam es zu dem 2. Kinderwunsch, der sich schneller erfüllte, als mein Mann Michael und ich es uns vorstellen konnten. Also hat da oben auch noch einer mitgespielt und wenn ich meinen zu Beginn des Jahres verstorbenen Vater zitiere: „Wenn Gott und uns in eine Situation bringt, gibt er uns auch die Kraft damit umzugehen.“ Und diese Kraft hat er mir in meinem Leben schon sehr oft gegeben. Vielleicht spielt Papa ihm nun auch ein bisschen in die Karten 😊

Jetzt freuen wir uns auf unsere Charlotte, die Kennenlernzeit, Paulines erste Reaktion, eine kuschelige Winterzeit zu Hause uns unsere ersten Urlaube mit den 2. Denn vom Reisen in Nah und Fern hat mich bisher meine Behinderung nicht abhalten können.

 

 

 

Mittlerweile hat Anne auch ihr zweites Kind zur Welt gebracht und die kleine Familie lebt sich gerade zu Haus ein. Herzlichen Glückwunsch und eine wunderschöne Kennenlernzeit.

 

Eure

wheelymum

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3 Kommentare

  1. Lydiaswelt

    Herzlichen Glückwunsch zur Geburt von Charlotte, liebe Anne. Wir Eltern mit Behinderung werden leider zu selten gesehen. Und wenn, dann eher als hilflose, zu behütende Person, und nicht als Eltern, die ihre Kinder auf dem Weg zum Erwachsenwerden begleiten.

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  2. Gabriele Thoma

    Auch ich sitze unverschuldet im Rollstuhl (kompletter Querschnitt),das ganze seit 1984 (da war ich 19).
    1986/1992 und 1994 habe ich jeweils ein Kind geboren ,alle 3 Schwangerschaften ohne Komplikationen und auf ganz normalen Weg.
    Mittlerweile bin ich Oma von 2 Lausbuben (6/8).

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  3. EsistJuli

    Oh dann herzlichen Glückwunsch zur Geburt 🙂

    Schön, dass alles in der 2. Schwangerschaft trotzdem so „normal“ gelaufen ist 🙂

    Ein wirklich interessantes Interview, vielen Dank dafür!

    Liebe Grüße,
    EsistJuli

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