Behinderung ist keine Einladung zur Grenzüberschreitung

Kinder dürfen mich – und viele andere Menschen mit Behinderungen (fast) alles fragen. Und dennoch gibt es Grenzen. Wo beginnen diese?

Meine Grundeinstellung: Lasst die Kinder fragen – und auch ihr dürft Fragen stellen, und doch gibt es eine Grenze. Ganz persönliche Fragen, stellt man (fremden) Menschen einfach nicht. Entweder sie sprechen von sich aus darüber, oder eben nicht.

Dazu gehört auch die Tatsachem dass es immer wieder Eltern gibt, welche ihre Kinder extra zu Menschen mit Behinderungen hinschicken um zu fragen, was diese haben. Also wenn die Kinder nicht von sich aus kommen, sondern vorgeschickt werden.

Die Alarmlampen blinken rot.

Denn hier vermischt sich Vojorismus, mit Distanzlosigkeit und der Behindertenquote (Heute hat man Kind Kontakt zu einem Menschen mit Behinderung – das ist wichtig für seine Entwicklung)

Neeeeein.

Wir sind keine Punkte, deren Kontakt man ab arbeiten muss, damit das Kind sich gut entwickelt. Viel wichtiger ist doch, dass die Kinder uns Menschen mit sichtbaren Behinderungen als eine mögliche Erscheinung unserer Gesellschaft wahrnehmen. Ebenso wie es selbstverständlich sein sollte, dass man Transmenschen oder black people überall sieht.

Es gibt unterschiedliche Menschen, völlig unterschiedliche Körper und unsere Gesellschaft lebt von dieser Vielfalt Es ist Aufgabe der Eltern und auch der gesamte Gesellschaft unsere Kinder in dieser Vielfalt aufwachsen zu lassen. Das nicht zu tabuisieren.

Dazu gehört aber auch, dass es Dinge gibt, die man andere Menschen nicht einfach so fragt.

Mich darf jeder fragen, wie es ist mit dem Rollstuhl unterwegs zu sein, aber müssen Eltern ihre Kinder zu mir schicken um zu fragen was ich habe? Wenn dieser Antrieb aus dem Kind und seiner Neugierde heraus kommt, ist das gar kein Thema.

Doch diese Art der Distanzlosigkeit wird bei Menschen mit Behinderungen oft erlebt. Und nicht nur bei uns, sondern bei vielen Randgruppen. Personen die einfach in der Unterzahl sind und deswegen immer noch als Besonderheit herausstechen. Das sind wir aber nicht. Wir sind nicht anders oder Besonders. Wir sind wie du und du. Ich denke an die Erzählung einer dunkelheutiogen Frau, die auf der Straße gefragt wurde, ob man mal ihre Haare anfassen darf. Ich frage mich, was ist hier los?

Stellte euch einmal vor, ihr lauft durch Berlin und aus dem nichts steht jedmand vor dir und sagt:

Deine Haare sind so schön, kann ich die streicheln?“

Ähhh hallo?

Die wunderbare Sabine, hat viele ihrer Erfahrungen in diesem Post einmal aufgeschrieben.

Warum kommen Menschen auf die Idee, dass ein Merkmal, welches anders als bei anderen ist, wie zum Beispiel eine Behinderung, eine Art Freifahrtschein für eine Grenzüberschreitung ist?

Ich weiß, dass ist in vielen Bereichen so: Auch beim Thema Kinder (Wunsch / haben) wird diese Grenze immer und immer wieder überschritten.

Ich erlebe das gerade auch beim Thema Trauer.

Warum spricht man fremde Menschen auf sehr persönliche Dinge an?

Warum macht man das?

Oder macht man es vielleicht einfach nicht?

Was sagt ihr denn dazu?

wheelymum

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5 Kommentare

  1. Ruth

    Hallo!
    Vielen Dank für all deine tollen Artikel hier…

    Zum Thema der Grenzen: ich bin Hebamme und Mutter von 3 Kindern. In diesem Zusammenhang habe ich erlebt, dass sobald eine Frau schwanger ist (ev. Auch nur werden will oder könnte) erschreckend vielen Menschen der Anstand verloren geht. Ungefragte Kommentare, schwangere Bäuche werden ungefragt angefasst, Babys ins Gesicht gefasst, Kinder gestreichelt, ungefragte Erziehungsratschläge,… Und als Hebamme bin ich dann viel damit beschäftigt diese horrorstories und falschen Tipps und die verunsicherubg zu neutralisieren mit fachlichkeit.
    Ich mache das seit fast 15 Jahren und bin so müde. Und lange war ich immer nur fassungslos was da plötzlich passiert beim Thema Familie werden.
    Aber die letzten Jahre merke ich, dass es sich um alle Diversitäts Themen handelt. Und dass es großes völlig unreflektiertes Thema der ganzen Gesellschaft ist und gefühlt 50% selbst wenn sie sich nicht unbedingt aktiv unmöglich verhalten es nicht problematisch finden.
    z. B. Habe ich mich beim ersten Kind immer drüber geärgert, dass wenn ich mein Kind im tragetuch trug, immer wirklich immer jemand fragen musste, ob dass Kind überhaupt Luft bekommt. Meine Schwiegereltern und viele andere, fanden das sei doch nur aufmerksam.
    Und das ist ja noch vergleichsweise harmlos, eine Freundin meiner Tochter ist 1 Chromosom reicher als viele andere und was diese Eltern (und auch das Kind) da konfrontiert sind an z. B. Fragen ib man es nicht vorher gewusst habe, ist wirklich ungehäuerlich.
    Und ich bin echt ratlos wo anfangen, das der Gesellschaft beizubringen.

    Vielen Dank also für diese Reihe hier bei dir…

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    1. wheelymum (Beitrag Autor)

      Vielen lieben Dank für deine Impulse. Ja, genau das meine ich damit.
      Interessiert sein ist das eine, diese Übergriffigkeit etwas völlig anders.
      Aber ich bin mir sicher, zusammen können wir hier etwas bewirken.

      Immer wieder ansprechen, darauf hinweisen und vor allen Dingen selbst als Vorbild voran gehen.
      Alleine damit können wir die Welt verändern, darin bin ich mir sicher.

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  2. Annina

    Distanzlosigkeit ist immer wieder ärgerlich…wobei wenn sie von anderen Behinderten kommt entspringt sie oft der Tatsache, dass sie froh sind mal jemand anderen im Rollstuhl zu sehen. Das finde ich nicht schlimm.

    Ein Erlebnis war aber auch mir zuviel..ich war im Einkaufszentrum der großen Stadt in der Nähe und mußte eben mal auf die Toilette. Es gibt da genau 1 Behindertentoilette. Immerhin war die frei und ich konnte rein. 2 Minuten später hämmerte auf einmal jemand gegen die Tür und brüllte ich solle rauskommen,dass sei ein Klo für Rollstuhlfahrer, dann versuchte er die Tür aufzureißen. Unter ständigem Schreien wollte er dann, dass die Toilettenaufsicht die Türe öffnet..hat sie nicht getan.
    Als ich am Ende rauskam wollte er, es war ein junger Mann, wissen warum ich da drin gewesen sei (RATE MAL)und was ich hätte. Ich meinte nur “Geht’s noch?” und fuhr von dannen.

    Echt jetzt.

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  3. wheelymum (Beitrag Autor)

    Puhh, aber gerade diese Toilettensituation kenne ich auch. Danke für die Erinnerung, ich schreibe sie nochmal auf und veröffentliche sie.

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  4. Hertha-Margarethe Kerz

    Moin und vielen Dank für den Artikel.
    Ich fürchte, hier wird Distanzlosigkeit mit Offenheit oder für alles Offen sein verwechselt. Ich bin MSler, schon ein älteres Semester und komme aus einer ‘Behindertenfamilie’. Vater schwerkriegsbeschädigt, Mutter auf einem Auge blind (auch Kriegsverletzung). Als ich Kind war, liefen und fuhren in den Straßen Hamburgs so viele Kriegsversehrte herum, dass sich niemand auch nur umdrehte. Dann starben diese Menschen durch das Alter. Daraufhin sah man ein, zwei Jahrzehnte keine oder kaum noch Behinderte – ich weiß auch nicht, wo die alle waren. Heute sieht man sie wieder. Ich nehme es so wahr, dass es ziemlich stark vom Intelligenzquotienten abhängt, ob jemand mich dusselig anmacht, oder es einfach akzeptiert. Einige Personen glauben meiner Wahrnehmung nach, sie seien ja ach so modern und offen, wenn sie so einen Blödsinn verzapfen.
    PS Vielleicht sollte man statt des Rollstuhlpiktogramms einen süßen kleinen Außerirdischen an die WCs bappen, damit klar ist, dass es Toiletten für Behinderte sind, nicht ausschließlich Rollifahrer. (Warum wird Behinderung eigentlich immer mit Rollstühlen gleichgesetzt?)

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