Es ist Sommer. Sonntag. 32 Grad draußen. Mein zweites Kind ist 6 Monate alt. Es krabbelt noch nicht.
Am Morgen sehe ich an seiner Fingerkuppe eine Blase. Es sieht aus, wie eine Brandblase. Ich bin mir aber vollkommen sicher, dass er sich nicht gebrannt hat. Nach etwas beobachten und abwägen entscheiden wir uns in die Klinik zu fahren.
Ein Kinderarzt schaut sich den Finger an und sagt zu meinem 6 Monate altem Sohn:
„ Na da wirst du dich verbrannt haben.“
Ich verneine und sage, dass das nicht sein kann.
Der Arzt meint: „ na an der Herdplatte oder Heizung geschieht so etwas schnell“
Ich verneine erneut. Keine Berührung mit der Herdplatte – ganz sicher.
Keine Heizung bei 32 Grad Außentemperatur an.
Ein abfälliges – na wenn sie meinen – und er behandelt meinen Sohn. Abwägen ob man es öffnen muss oder nicht, ein Verband und falls es schlimmer wird, sollen wir in die Chirurgie fahren.
Beim Verabschieden sagt er zu meinem 6 Monate altem Sohn:
„Vielleicht muss die Mama ja doch besser auf dich aufpassen oder sie braucht jemanden der das mit ihr zusammen macht,
damit du dich nicht mehr brennst.“
Tränen in meinen Augen. Ich habe mein Kind auf dem Arm. Kann keinen Ton sagen. Wir fahren nach Hause. Ich schlafe die ganze Nacht nicht. Überlege hin und her. Die Zweifel graben sich ein. Immer tiefer.
Montags Nachmittags haben wir einen Termin zur Kontrolle bei unserem Kinderarzt.
Er löst den Verband, schaut sich den Finger an und diagnostiziert sofort:
Panaritium
Meist durch eine Verletzung entstandene eitrige Entzündung eines Fingers oder – weitaus seltener – einer Zehe. Die Eintrittspforte der verursachenden Bakterien liegt sehr oft im Bereich der Fingerkuppe, wo kleine Einrisse, Nadelstiche oder eingesprengte Fremdkörper den Krankheitserregern den Weg bahnen.
Also eine Art der Nagelbettentzündung, die gerade bei kleinen Kindern nicht selten ist. Vermutlich haben wir den Nagel zu kurz geschnitten und dadurch ist die Eintrittstelle entsandten.
Ein Fehler bzw. Missgeschick bei der Pflege. Ein Fehler, der vielen Eltern geschieht und der nichts mit der Behinderung oder Situation zu tun hat, dass ich im Rollstuhl sitze.
Dieses Gefühl der Rechtfertigung und auch der Herabwürdigung saß so tief bei mir, dass ich es lange mit mir herumgetragen habe. Das muss nicht sein.
Wir Eltern sind nicht perfekt.
Das müssen wir auch nicht.
Aber andere Menschen und auch kein medizinisches Personal darf uns so darstellen oder mit uns reden, wie mir das vor Jahren passiert ist.
*Gaslighting ist (Kompositum aus englisch gas und lighting, deutsch: ‚Gasbeleuchtung‘, in diesem Zusammenhang aber auch im Deutschen als Gaslighting bezeichnet) in der Psychologie eine Form von psychischer Manipulation, mit der Opfer gezielt desorientiert, verunsichert und in ihrem Realitäts- und Selbstbewusstsein allmählich beeinträchtigt werden. Quelle: Wikipedia.de
Das Verhalten des Arztes ist unmöglich, dann auch noch mit deinem 6 Monate alten Baby abwertend über dich reden. Leider habe ich auch die Erfahrung machen müssen, dass gerade Kinderärzte sehr oft Schwächen der Eltern suchen, gerade wenn man nicht in ein bestimmtes Bild passt. Als mein Kind mit seltener chronischer Erkrankung noch nicht 18 war und die Ursache lange nicht erkannt wurde, habe ich sehr darunter gelitten. Man benötigt Ärzte, die auf Augenhöhe mit Eltern reden.
Es ist so unglaublich, was Menschen alles erleben.
Aber ja, heute würde ich da ganz anders reagieren. Auch das ist ein Lernprozess.
Liebe Wheely Mum,
ich finde außerdem sehr schlimm, dass der vorurteilsbehaftete Blick des Arztes zu einer falschen Diagnose geführt hat (ähnlich wie “racial profiling” der Polizei, das eine Aufklärung der NSU Morde über Jahre behindert hat). Falls Sie Kapazität haben, könnten Sie Kontakt zum Patientenfürsprecher des Krankenhauses aufnehmen, letztendlich im Interesse des Arztes und zukünftiger Patienten.
Wenn der Arzt zu feige oder seine soziale Kompetenz nicht ausreichend ist, Sie direkt anzusprechen, ob Sie mit der Pflege überfordert sind, möge er es doch lassen, denn ein 6 Monate alter Säugling wird ihn nicht verstehen… Kopfschüttel
Es ist wahrscheinlich wenig tröstlich, dass er sicherlich zu ALLEN seinen Patienten so eklig ist, aber das ist eine andere Geschichte.
Danke für deinen Kommentar. Ich habe mich im Nachhinein tatsächlich beschwert. Als ich schwanger lange in der Klinik lag, habe ich auch eine Entwicklung durchgemacht – mir Namen und Aussagen notiert, um als Patient ernst genommen zu werden.
Ich stimme dir zu, das war sicherlich kein Einzelfall. Ich hoffe nur andere Eltern erleben das nicht so stark.
Als blinde Mutter sind mir solche Erlebnisse nicht fremd. Die Frage wer mir denn bei diesem oder jenem hilft, kann manchmal absurde Blühten treiben.