dwirDer Titel lässt es vielleicht schon erahnen. In diesem Beitrag geht es um Aufklärung und alles was dazu gehört.
Nie werde ich folgende Situation vergessen:
Wir sind auf einem Grillfest und mein 4 Jähriger Sohn kommt zu mir an den Platz. In seiner Hand hält er einen verpackten Tampon. Er gibt ihn mir mit den Worten:
„Hier Mama für dich. Das hab ich gefunden. Den kannst du nehmen, wenn du wieder blutest, weil du kein Baby bekommst.“ Danach rennt er wieder weg.
Die Gesichter am Tisch könnt ihr euch nicht vorstellen.
Aber ja. Ich habe meine Söhne darüber aufgeklärt. Die Details hängen natürlich vom Alter ab.
Aber wir gehe ich als Eltern damit um?
Was mache ich, wenn es mir schwer fällt – warum auch immer – mit meinen Kindern offen darüber zu sprechen? Was sind meine Sorgen?
Im Beltz Verlag sind genau zu diesem Thema zwei Bücher erschienen. Ein Buch für Eltern (und ich würde auch sagen für Pädagog:innen in Kindergarten und Schule) und eins für Kinder.
Das Buch Was kribbelt da so schön? Von Magdalena Heinzl ist eine wahre Fundgrube und ein Mutmacher für uns alle. Magdalena ist Sexualtherapeutin und ihr findet sie auch unter Sexologisch und in ihrem Podcast.
Das Buch ist in insgesamt 7 Kapitel gegliedert, die nicht unbedingt alle aufeinander aufbauen. In den ersten Kapiteln geht es darum, warum wir mit unseren Kindern mehr über Sexualität sprechen sollten und wie sich die kindliche Sexualität entwickelt. Sachwissen und Reflexionsfragen an uns selbst ziehen sich durch alle Kapitel die mit einem kurz und bündig beendet werden. Gerade die Reflexionsfragen helfen uns eigene Tabus herauszufinden und dahinter zu schauen.
„Wir alle sind von Geburt an sexuelle Wesen und unsere Sexualität verändert und entwickelt sich ein Leben lang. Sie taucht nicht plötzlich mit der Pubertät auf und ist dann unverändert vorhanden, bis sie im Alter verschwindet. Das ist ein Irrglaube,…“ (S. 11)
Eltern kennen solche Situationen wahrscheinlich schon aus der Babyzeit. Die kindliche Sexualität ist nicht die selbe Sexualität wie die von Erwachsenen. Auch zu dieser Entwicklung findet sich nochmal eine Aufstellung im Buch. Dieses Wissen, dass wir diese Sexualität nicht gleichsetzten können, ermöglicht vielleicht auch eine etwas ungehemmtere Sexualerziehung. Denn Aufklärung hat viele positive und auch unsagbar wichtige Auswirkungen für unsere Kinder. Magdalena stellt in ihrem Buch acht Punkte da und führt diese natürlich auch noch weiter aus:
Aufgeklärte Kinder:
- können ihre Bedürfnisse besser wahrnehmen und ansprechen
- haben einen genussvollen Zugang zu ihrem Körper
- sind besser vor Übergriffen geschützt
- werden seltener selbst zu Sexualstraftäter:innen (hier musste ich echt schlucken)
- können sich Hilfe holen und über Erlebtes sprechen
- müssen sich nicht ihre Antworten von anderen oder aus dem Internet holen
- können Geschehens besser einordnen oder verarbeiten
- schützen sich besser vor sexuell übertragbaren Infektionen und ungewollten Schwangerschaften
Schon allein für diese Themen lohnt sich das Buch aus meiner Sicht. Doch es gibt noch mehr. Viel mehr. Was ist noch ok? Wie weit dürfen Doktorspiele gehen, wo sind (meine) Grenzen ist ein Kapitel bei dem ich ganz viel mitgenommen habe und selbst erkannt habe, wo so viele Ängste bei mir sitzen. Teilweise auch schambehaftet, wenn die Kinder mit anderen Doktorspiele gespielt haben im Gegenseitigen einvernehmen aber das ungute Gefühl immer mit dabei war. Hier gibt es auch etliche Situationen zur eigenen Einschätzung was ist ok, was ist ein Übergriff. Ein sehr augenöffnendes Kapitel für mich. Bevor es zum Herzstück des Buches kommt: 80 Kinderfragen über alles zum Thema sind hier gesammelt. Aus ihrer Erfahrung hat die Autorin hier mögliche Antworten vorgeschlagen. Die Sexampel habe ich gleich mit übernommen, denn es geht hier um die Fragen: Was ist Sex, wann hat man Sex (mit sich selbst mit anderen usw.) Dazu braucht es 3 grüne Ampeln. Die Kopfampel, die Bauchampel, die Genitalampel und nur wenn alle Ampeln auf Grün stehen ist es in Ordnung. Hier kann man das Thema sehr vertiefen und ganz individuell schauen.
Niemand wird bei einer Frage seines Kindes sagen: Oh Moment, ich lese einmal um Buch nach, was ich darauf antworten kann. Doch das ist auch gar nicht das Ziel. Jederzeit kann man hier nachlesen, sich Impulse holen oder auch einfach nur einmal sagen: Oh, das ist eine Frage darüber muss ich noch einen Moment nachdenken. Ziel ist es vielmehr die Kinder zu ermutigen, dass sie uns alles fragen können, dass sie sich mit allem an uns wenden können.
Im weiteren geht es im Buch noch um Medien und Sexualität und wie wir unsere Kinder auch hier begleiten können. Medienpädagogik als kurzer Exkurs darf hier nicht fehlen, um alles in einen Zusammenhang zu bringen. Auch hier gibt es praktische Tipps und vieles zum reflektieren. Das letzte Kapitel ist unsagbar wichtig und wahrscheinlich das was uns alle am meisten Angst macht: Sexuelle und sexualisierte Gewalt. Neben einem fachlichen Abriss und der Beleuchtung wie Täter vorgehen, werden auch hier etliche Beispiele benannt und darunter findet man eine sachliche Einschätzung. Im nächsten Schritt geht es darum, was wir bei einem Verdachtsmoment tun können. Mindestens ebenso wichtig ist die Prävention im Alltag. Auch hier werden wieder 9 ganz praktische Punkte mit aufgeführt, die wir alle jederzeit für und mit unseren Kindern umsetzten können. Einige sind neu, einige wurden vorher im Buch schon ausführlich besprochen.
Es gibt noch einen Anhang mit vielen Literaturtipps nach Alter gegliedert.
„Eine frühe Sexualaufklärung gemäß der jeweiligen kindlichen Entwicklungsphase führt also nicht zu einer Überforderung oder Verunsicherung. Sie hilft Kindern vielmehr dabei, einen selbstbewussten Zugang zu ihrer Sexualität, ihrem Körper und ihren Gefühlen zu entwickeln.“ (S. 11)
Eine Möglichkeit dazu sind für jüngere Kinder auch Bilderbücher. Bei Beltz und Gelberg ist fast passend dazu das Kinderbuch Untenrum erschienen. Wir lernen Lo mit Familie kennen. Es wird gefragt, was Menschen denn mit untenrum meinen und sein Papa erklärt, dass dies ein anderes Wort für den Intimbereich ist. „Der gehört nur dir und die allein darfst darüber bestimmen. Dafür gibt es ganz viele unterschiedliche Wörter. Alle nennen ihr untenrum anders.“
Danach beginnt die Suche nach Wörtern. Die Mama kommt dazu und erzählt auch mit. Es entstehen Bilder im Buch und im Kopf wie man zu etwas sagen kann. Es werden Fachbegriffe verwendet aber auch, dass es manchmal ganz andere Namen sind. Ob Lo ein weibliches oder ein männliches Genital hat wird nicht erwähnt. Lo´s Mama erzählt von ihrer Periode. Auf der nächsten Seite ist die Familie auf einer Wiese und picknickt gerade als die Themen, Klitorisspitze Erregung, Erektion und Penis erklärt wird. Dazu gibt es auch nochmal extra Zeichnungen. Hier haben Penis und Klitoris Gesichter aufgemalt bekommen. Im nächsten Stritt geht es um die Zeugung eines Menschen und die Schwangerschaft. Es wird erklärt, dass nicht alle Jungs einen Penis und nicht alle Mädchen eine Vulva haben und mit Onte Stef wird beschrieben, dass Stef weder Tante noch Onkel ist, sondern einfach Onte Stef. Als Lo im Kindergarten ist, geht es erneut um diese Themen. Nirgendwo ist ein Tabu, denn auch das Thema Stop – Grenzen und Regeln werden hier ganz klar angesprochen und aufgegriffen. „Bei Körperspielen ist es wichtig, darauf zu achten, dass sich alle wohlfühlen. Wenn ein Kind Stopp sagt, muss man auf jeden Fall aufhören. Egal wie viel Spaß es macht.“
Am Ende des Buches weiß Lo ganz viel über untenrums und möchte sich selbst untersuchen.
Ganz am Ende der Geschichte steht dass Lo einen Namen für das Untenrum braucht. Vielleicht ein Fantasiewort? Vielleicht ein Wort das niemand sonst kennt?
Die letzten beiden Sätze finde ich schwierig und streiche sie in unserem Buch. Da Lo im Buch bewusste keinem Geschlecht zugeordnet ist – wird das Thema Non Binär aufgegriffen. Aus diesem Grund ist schlüssig, dass dies nicht benannt wird. Jedoch das Fantasiewort finde ich im Hinblick auf die Prävention zur sexuellen Gewalt eher schwierig und verzichte deswegen darauf.
Eure