Ich vermisse Weihnachten
Was mir hier in der Klinik ganz besonders ist die Weihnachtsstimmung.
Was ich genau darunter verstehe?
Schaut mal dieses Gedicht:
Alle Jahre wieder
Verkaufsoffenes Samstagsgewühle
Weihnachtsmann – Inflation
Jingle Bells als Klingelton
Senfflecken auf der Jacke
Lebkuchenorgien und Zuckerschock
hektisches Gekeife an der Supermarktkasse
miesepetrige Gesichter in der Straßenbahn
kitschiger Tand made in Ganzweitweg
künstlicher Watteschnee im Schaufenster
singende Schneemänner
Pappsüßer Glühwein
Smartphone, Playstation und Co
Dekowahn und Lichterkettenmasaker
Weihnachtsfeier im Kindergarten
einsame Waldspaziergänge
Kinderhand in Großenhand
gegrillte Maronen
Eislaufen im Park
Kerzenlicht und Plätzchenduft
Sehnsucht nach Schnee
Engelshaar auf der Fensterbank
lebensgroße Krippen in halbdunkler Kirche
Weihnachtskonzerte zum Mitsingen
Apfel, Nuss und Mandelkern,
Adventskranzlicht
Vorlesen im Halbdunkel
Bratäpfel im Backofen
Erleuchtete Gassen
Abendliches Glockengeläut
Briefe ans Christkind
Weihnachtsessen mit Familie und Freunden
Räuchermännchen auf der Fensterbank
Sterne basteln
Festgottesdienst mit Krippenspiel
Zeitvergessenenes Spielen unterm Tannenbaum
Sie haben die Wahl –
Alle Jahre wieder
Eva Unterberg
Ja, man hat die Wahl, oder auch nicht. Ich bin hier gut aufgehoben. Habe einen Adventskalender geschenkt bekommen, indem sich jeden Tag liebe Grüße von Familie und Freunden verstecken. Wir haben Sterne gefaltet und ein kleines Adventsgärtchen aufgestellt. An der Wand habe ich aus Washi Tapes einen Adventskranz und Junior bastelt mir jeden Sonntag eine Kerze dazu. Anstatt Plätzchen backen haben wir Schokocrossis gemacht und das Hexenhaus darf bis zum Januar warten. Es gibt Adventstee und eine Lichterkette. Mandarinen und gestern sogar Lebkuchen.
Was mir noch fehlt?
Das heimelige Gefühl. Kuscheln und träumen, den Kindern beim Spielen zu schauen. Die verschmierte Küche beim Plätzchen backen, oder die Überlegung, wann das Christkind wohl kommt und den Baum schmückt. Das geheimnisvolle in dieser Zeit. Ein gemütliches Adventsfrühstück, mit umgeschütteten Kakao und viel zu vielen Süßigkeiten. Der Duft von Bratäpfeln und diese in Vanillesoße zu ertränken. Auf dem Sofa lümmeln und einen Weihnachtsfilm schauen, während das Wohnzimmer im Chaos versinkt.
Es ist anders in diesem Jahr. Und ich kann es nicht ändern. Ich muss es annehmen, akzeptieren und mich sogar darüber freuen. Denn so lange die Situation so ist, so lange bin ich hier in der Klinik. Gut aufgehoben. Weihnachten zu Hause würde bedeuten, dass unsere kleine Schildkröte noch in dieser Woche zur Welt käme. Das ist möglich, aber absolut nicht wünschenswert. Und so versuche ich mich, hier abzulenken. Meine Gedanken mit euch zu teilen und zuversichtlich zu sein. Wir werden Weihnachten als Familie nachfeiern und neue Wege finden. Das steht außer Frage – aber ein Gefühl des Vermissens bleibt. Und das darf es auch.
Eure
All dass, was du jetzt so dolle vermisst, wird im nächsten Jahr nachgeholt. Dann habt ihr Bratäpfel und Teiggenasche, eine mehlbestäubte Küche und Weihnachtsmusik und das alles dann zu viert!
Viele liebe Grüße und gutes Durchhalten für dich und deine Männer,
Liebe Grüße
Christiane
Ich wünsche noch ganz viel Kraft für die kommende Zeit. Für die ganze Familie und besonders für Sie und den Bauchzwerg, dass er noch ein bisschen weiter schwimmt und dann nach der Geburt umso schneller nach Hause darf und Sie Weihnachten nachfeiern können. Dann ist es egal ob es Heiligabend ist oder nicht. Geburtstage werden doch eh meist dann gefeiert, wenn es für alle am besten passt.
Liebe Ju,
der Verstand sagt: “Es ist besser so!”, aber das Herz hängt träumerisch den schönen Erinnerungen nach aus den vergangenen Jahren und mag sich nicht an den Gedanken des “anders” gewöhnen. Allzu verständlich.
Du darfst alles vermissen – vor allem den normalen Wahnsinn zu Weihnachten. Die Normalität. Das ist das was wirklich fehlt in solchen Ausnahmesituationen. Normalität. Man glaubt im normalen Alltag kaum, dass man sie vermissen könnte – ist sie dann aber über Tage, Wochen oder sogar Monate nicht da, scheint alles aus den Fugen zu geraten.
Normalität gibt Halt und Sicherheit. Das brauchen wir um uns geborenen zu fühlen. Gerade an Weihnachten wünschen wir uns dieses Gefühl besonders herbei und sind traurig, wenn es anders ist.
Alles Liebe
Andrea
Liebe Andrea, du findest die Worte, die ich nicht hatte. Mein Herz, ich danke dir. Unsere Schildkröte und ich besuchen dich ganz oft in unseren Reisen. Du bist hier so nahe <3
Ich wünsche dir und deiner Familie von ganzem Herzen Frohe Weihnachten <3
Liebe Ju,
euren Besuch spüre ich immer wieder deutlich und fühle mich sehr mit euch verbunden. So gerne würde ich euch auch dann man live kennenlernen. Vielleicht werden wir ja mal die Möglichkeit dazu haben. Es wäre mir eine Ehre <3
Liebe Grüße
Andrea
Liebe Ju,
Ich war eben mit einer Freundin einkaufen. Der Supermarkt war brechend voll, als stünde eine Hungersnot an. Dann muss ich gerade denken, während ich deinen Beitrag lese. Ich wünsche dir, dass du all das im nächsten Jahr nachholen kannst, und Genuss dabei empfindest. Ich glaube, dass wir die Dinge schätzen lernen, wenn wir sie nicht haben können.
Alles Liebe
Deine Lydia