Vom Glauben und Wundern am Hl. Abend. Vielleicht findet ihr einen kleinen Moment um diese Geschichte noch zu lesen. In alle dem Trubel der Vorbereitungen und der Aufregung vor morgen.
Es ist der 24. Dezember 1965. Schon zeitig in der Früh sind die Kinder aufgestanden und haben sich angezogen.
Heute ist Heiliger Abend, der Tag, an dem jedes Jahr erneut ein Wunder passiert.
In der Adventzeit hatten nicht nur die Kinder vier Wochen Zeit, sich auf dieses Ereignis einzustimmen. Es wurden Kekse gebacken, Reisig an allen nur möglichen Stellen in der Wohnküche platziert, auch auf die Herdplatte gelegt. Der Duft des Reisigs hatte während dieser Zeit den Raum vollständig ausgefüllt. Es wurden Weihnachtslieder gesungen, Weihnachtsdekoration gebastelt und es wurde versucht, ohne Streit auszukommen.
Für die Kinder war es auch die Vorfreude auf die zu erwartenden Geschenke, doch insgesamt ist es die innerliche, freudige Stimmung die das Weihnachtsfest so schön macht.
Die Freude über die Geburt Jesu, vor langer, langer Zeit. Ganz armselig war er in einer Futterkrippe in einem Stall zur Welt gekommen. Ohne Schnick-Schnack hatte er, der Sohn Gottes, als Mensch das Licht der Welt erblickt.
Diese Armseligkeit ist es, die diese Menschen so gut nachvollziehen können und dadurch diese große Verbundenheit zum Glauben haben.
In den Straßen und Geschäften ist von Weihnachtsbeleuchtung oder Dekoration nichts zu sehen. Lediglich in der Schule hängen in den Klassenzimmern Adventkränze. Auch in der Kirche hängt im Mittelschiff an der Decke ein riesiger Adventkranz mit überdimensionalen Wachskerzen. Und auch eine Krippe ist dort aufgestellt, mit großen Holzfiguren. Außerdem stehen neben dem Altar einige mit Engelshaar geschmückte Nadelbäume, die für Stimmung sorgen.
Luisi ist nun schon 11 Jahre alt, während des Jahres hat er zwar anderen gegenüber verleugnet ans Christkind zu glauben, zu Weihnachten aber ist er von seiner Existenz wieder zutiefst überzeugt.
Das Christkindl ist Religion für ihn, Teil des Glaubens für das man keine Beweise einfordern darf.
In seiner Vorstellung ist das Christkindl eine Mischung aus dem Jesus-Kind in der Krippe und einem Engel. Sein Christkindl ist aber ganz eindeutig weiblich, mit langen blonden Locken. Zum Unterschied von Engeln hat es nur kleine Flügelchen, doch es kann trotzdem durch die Lüfte schweben.
Am Heiligen Abend gehen die Buben immer mit dem Vater in den Wald, um die Futterstellen der Wildtiere aufzufüllen.
Die Familie isst schon recht früh zu Mittag. Anschließend packt der Vater Futter-Kastanien in einen Sack und die Buben bündeln einige Heuballen für die Fütterung und sie machen sich auf den Weg in den tiefverschneiten Wald.
Zu Weihnachten gibt es in der Regel viel Schnee, diesmal ist die Landschaft besonders weihnachtlich, denn es hatte heute Morgen zu schneien begonnen und es fällt immer noch dichter Schnee.
Der Vater kennt alle Futterkrippen in seinem Forstgebiet genau, er sieht an den Spuren der Tiere, welche von ihnen heute schon die Futterstellen besucht hatten. Gleichmäßig teilt der Vater mit den Kindern für alle Futterstellen das mitgebrachte Heu und die Kastanien auf.
Als sie ein Reh im tiefen Schnee mühsam durch das Unterholz ziehen sehen, sagt der Vater: „ Psst, leise! Dort sucht ein Reh nach Futter. Aber es ist auch gut möglich, dass das das Christkindl ist. Denn dieses nimmt oft die Gestalt eines Tieres an, um zu sehen, ob die Menschen gut zu den Tieren sind!“
Das Waldgebiet ist riesengroß, am späten Nachmittag kommen sie zu einer Stelle, an der eine Bauhütte steht. An deren Tür hängt ein Tannenzweig, an dem 4 Stück Schokolade baumeln. „Seht mal, hier war das Christkindl schon. Diese Schokolade hat es für euch hiergelassen!“
Luisi ist überwältigt von der Allwissenheit des Christkindls. Woher konnte es wissen, dass er mit seinen Brüdern hier vorbeikommen würde?
„Hier waren wir im Sommer schon, erinnert ihr euch?“, fragt der Vater die Kinder, nachdem alle auf einer Bank vor der Hütte Platz genommen hatten. „Hier wird im kommenden Sommer eine Autobahn gebaut! Diese Lichtung hier, die habe ich mit meinen Kollegen abgeholzt, damit die Straße gebaut werden kann!“
Luisi erinnert sich dunkel an die Begebenheit damals im Sommer. Sie waren im Wald Schwammerl suchen gewesen.
Der Vater hatte mitten im dichtesten Wald plötzlich gesagt: „Hier soll eine Autobahn gebaut werden!“
„Von hier“, der Vater hatte dabei auf einen Baum gedeutet, der vom Förster mit einer Farbmarkierung versehen worden war – dann waren sie sehr, sehr weit gegangen, für Luisis Begriffe fast einen Kilometer, „bis hierher wird die Straße gehen!“ Dabei hatte der Vater auf einen weiteren Baum mit Farbmarkierung gezeigt.
Luisi hatte das nicht verstanden: „Wieso soll eine Straße von einer Stelle mitten im Wald zu einer anderen Stelle mitten im Wald gehen? Das macht doch keinen Sinn, eine Straße muss doch irgendwohin führen, wo Autos fahren können!“
Der Vater hatte gelacht und gemeint: „Dieses Stück, das wir jetzt gegangen sind, das wird auch nicht die Länge der Straße sein, sondern deren Breite. Das wird nämlich eine Autobahn, da werden tausende Autos am Tag darüberfahren.“
Das aber hatte Luisi auch nicht verstanden. Woher in aller Welt sollten tausende Autos hier mitten im Wald herkommen? Und wohin – bitteschön – sollten die fahren wollen?
Jetzt aber ist aus dem finsteren Wald eine Lichtung geworden. Eine Lichtung die soweit reicht, dass deren Ende und Anfang nicht zu sehen ist.
Das ist ein Moment in Luisis Leben, in dem er fest daran glaubt, dass das Christkindl das regeln würde. Dass das Christkindl so eine breite Straße hier in diesem wunderschönen Wald bestimmt nicht haben wolle. Vielleicht war es deshalb hier vorbeigekommen, um zu sehen was die Menschen hier für einen Unsinn anstellen?
Doch das Christkindl hat es nicht geregelt, nicht in diesem Jahr und nicht im nächsten.
Irgendwann sehr viel später war dann die Autobahn fertig und von irgendwoher sind dann auch wirklich tausende Autos gekommen und irgendwohin gefahren. Wenn Luisi sehr viel später an der Brücke über der Autobahn stand und hinuntersah auf den endlosen Strom der Fahrzeuge, dachte er stets: „Wo fahren diese vielen Menschen eigentlich alle hin? Haben sie denn keine Familie, warum gefällt es ihnen zu Hause nicht? Vor wem oder was fliehen sie alle und warum?“
Es ist schon dunkel, als der Vater mit den Buben nach Hause zurückkommt. Ungeduldig müssen die Kinder noch das Abendessen abwarten.
In der Zwischenzeit hatte die Mutter mit der 15-jährigen Helen den Weihnachtsbaum geschmückt. Helen ist schon fast erwachsen und für die Mutter eine große Hilfe. Nicht nur, dass sie immer auf ihre kleinen Geschwister aufpasst, kontrolliert sie auch die Aufgaben der Kinder, sobald diese zur Schule gehen.
Darüberhinaus ist sie so etwas wie ein Puffer zwischen den lebhaften und bisweilen schlimmen Buben und der strengen Mutter. Allerdings hat sie es dabei nicht leicht, denn die Buben streiten zwar untereinander oft so heftig, dass die Fetzen fliegen, geht es jedoch gegen die große Schwester, sind sie sich schnell einig. Ja, und dann wird gemeinsam an ihren Zöpfen gezogen und gekniffen und getreten…
Doch heute wird nicht gestritten. Sobald der Vater mit den Buben zurück ist darf niemand mehr das Zimmer betreten, in dem das Christkindl den Weihnachtsbaum aufstellen wird. Das wird im neuangebauten Zimmer sein, das Helens Zimmer geworden war.
Dieses Zimmer ist jetzt für die Buben absolutes Tabu, denn das Christkindl könnte gestört werden – und wenn es gestört wird, verschwindet es ohne Geschenke zu hinterlassen. Die Buben müssen sich in der Stube aufhalten und kontrollieren sich gegenseitig, damit das Christkind keinen Grund zum Flüchten hat.
Irgendwann nach dem Essen verschwindet die Mutter dann im Zimmer, um für das Christkindl Platz zu machen.
Bald ist das Läuten einer hellen Glocke zu hören, so wie es das Christkindl immer macht, wenn es ihre Arbeit beendet hat.
Alle warten noch einen Moment, dann wird die Tür zum Zimmer geöffnet. Dieser erste Blick auf den geschmückten Weihnachtsbaum ist überwältigend.
Jahrzehnte später verbindet Lui immer noch Weihnachten mit diesem ersten Blick, mit dem Anblick des beleuchteten Weihnachtsbaumes und dem Geruch der brennenden Wachskerzen, mit dem frischen Tannengeruch, mit den wenigen Goldhaaren, die das Christkind verloren hatte, mit der Ehrfurcht vor dem augenscheinlichen Wunder.
Nach einem Weihnachtslied und einigen Gebeten dürfen die Kinder ihre Geschenke auspacken. Es sind keine überragende Geschenke, jedoch für jedes der Kinder etwas zum Spielen, ein Buch zum Lesen oder ein Kleidungsstück.
Der Heilige Abend ist der einzige Tag im Jahr, an dem die Kinder soviel naschen können wie sie wollen. Was zur Folge hat, dass anschließend immer jemandem schlecht ist.
Um 23 Uhr ist Christmette. Etwas nach 22 Uhr ziehen sich Helen, Otto, Luisi und Fritzi an und gehen mit der Mutter den 3 km weiten Weg in die Kirche. Die Straße ist unbeleuchtet, nur das Weiß des Schnees lässt schemenhaft die Konturen der nächtlichen Winterlandschaft erkennen. Es hat aufgehört zu schneien, dafür ist es bitterkalt geworden. Sie müssen mehr als 1km durch den tiefen Schnee waten, bis sie an eine Straße kommen die geräumt ist.
Otto und Luisi sind bei dieser Mette vom Pfarrer als Ministranten eingeteilt worden.
Während die Mutter mit den beiden anderen Kindern vorne bei der Kirche eintreten und im kalten, unbeheizten Kirchenschiff Platz nehmen, betreten Otto und Luisi die Kirche durch die Sakristei. Der Pfarrer ist schon da, schnell ziehen sich die beiden Buben ihre Ministrantenkluft über. Der Pfarrer trifft noch Anweisungen zum Ablauf der Hl.Messe. Schnell wird noch die Glut im Weihrauchkessel angeblasen, dann betreten sie, gefolgt vom Pfarrer den Altarraum…
Gegen Ende der Mette, als der Pfarrer die Stufen zur Kanzel emporsteigt, nehmen Otto und Luisi seitlich vom Altar auf einem Hocker Platz. Oben angekommen, beginnt der Pfarrer mit seiner Predigt:
„Vor fast 2000 Jahren, als Kaiser Augustus eine Volkszählung durchführen ließ, musste sich der Zimmerer Josef mit seiner Frau Maria vom Wohnort Nazaret nach Betlehem begeben. Dorthin, wo Josef geboren war, denn die Zählung musste am Geburtsort des Mannes durchgeführt werden.
Seine Frau Maria war zu dem Zeitpunkt hochschwanger und nachdem sie vergeblich nach einer freien Herberge gesucht hatten, setzten bei ihr die Wehen ein. Niemand gewährte ihnen Einlass, niemand hatte Mitleid mit den Beiden. Erst ein mittelloser Hirte, selbst ohne festen Wohnsitz, erbarmte sich. Er bot Josef und Maria den Stall seiner Tiere als Unterschlupf an.
Dort, zwischen Ochs und Esel, im Stroh des Stalles, brachte die Jungfrau Maria ihr Kind zur Welt. Es war ein Sohn, der Sohn Gottes und Josef nahm ihn als seinen Sohn an.
Behutsam legten sie das neugeborene, unschuldige, kleine Kind in die Futterkrippe und betteten es in Heu. Und ein Stern leuchtete plötzlich am Himmel, ein Stern der den Hirten der Umgebung den Weg zu dem kleinen Kind zeigte. In Scharen strömten sie herbei und alle die das Kind sahen, wussten, es war ein Wunder geschehen. Selbst 3 Könige aus dem Morgenland kamen, um dem Kind zu huldigen…“
Seine Predigt endete mit den Worten: „…damals, vor 2000 Jahren hat man Hilfesuchenden in Not die Zuflucht verweigert.
Lernen wir daraus und machen wir es heute besser!“
von Alois Kaiblinger
Macht es euch schön,
Eure