Heute kommt ein Gastbeitrag, aus einer anderen Sicht. Der erwachsene Sohn – möchte gerne anoym bleiben – schreibt über seine Kindheit mit seiner Mama. Die Mama hat einen anerkannten Conterganschaden. Ob und wie sich das auf die Familie auswirkte? Das könnt ihr heute in der Blogreihe nachlesen.
Gastbeitrag
Ich der Sohn einer Mutter mit Behinderung. Meine Mutter hat verkürzte Arme mit Händen, die ungefähr so lang sind wie die Oberarme einer Frau ohne Behinderung. Dies ist eine Folge von Contergan, welches meine Großmutter während der Schwangerschaft mit meiner Mutter nahm.
Ich bin Einzelkind. Meine Eltern lebten neun Jahre zusammen und haben sich dann getrennt. Davor hatten wir eine positive Grundstimmung zu Hause. Es war sehr schön bei uns zu Hause, einfach so ganz normal. Ein normales Familienleben.
Wir haben viel gespielt, Ausflüge gemacht und mein Vater hat mir ferngesteuert Rennautos mitgebracht. Das war ein Highlight meiner Kindheit. Aber auch die Behinderung meiner Mutter war immer wieder ein Thema. Im Alltag brauchte und braucht sie wenig Hilfe. Sie kennt es einfach nicht anders und wurde mit ihren verkürzten Armen groß. Sie hat bereist als Kind gelernt, alles damit zu tun.
Als ich in den Kindergarten kam, wurden mir von anderen Kindern Fragen zu ihrer Behinderung gestellt. Seit ich ca. 3 Jahre alt war, habe ich geantwortet:
„Meine Oma hat Pillen geschluckt, deswegen hat meine Mutter sich so entwickelt.“
Und damit war das Thema auch erledigt. Auch als ich älter wurde, war das kein Thema, welches ich vorher irgendwie ansprach. Ich habe nicht darüber nachgedacht. Für mich war es normal, also sollte es für meine Freunde auch normal sein. Ich sage ja auch nicht: Ich muss dich warnen, meine Mutter hat blaue Augen.“
Ich hatte viele Freiheiten in meiner Kindheit und auch viele Mitbestimmungsmöglichkeiten. Das hatte aber nichts mit der Behinderung meiner Mutter zu tun, sondern vielmehr mit der Art, wie ich erzogen wurde. Sehr selbstbestimmt und Selbstbewusst. Dafür bin ich heute noch dankbar.
Auch bei meinen Großeltern mütterlicherseits oder im Freundeskreis meiner Mutter, war die Behinderung kein Thema. Sehr wohl aber bei fremden Menschen. Hier wurde immer wieder mit Befremden auf die Situation reagiert. Sie hieß es zum Beispiel:
Man kann ja sehen, dass sie behindert ist und die Menschen starren sie an.
Oder beim Einkaufen hat die Kassiererin beim bezahlen meiner Mutter den Geldbeutel aus der Hand genommen. Sie wollte sich das Geld selbst herausholen. Aber so etwas lässt sich meine Mutter nicht gefallen. Sie hat den Geldbeutel sehr bestimmt zurückgefordert und der Kassieren klar gemacht, dass es ihrer ist und dies eine klare Grenzüberschreitung ist.
Mit der Selbstverständlichkeit mit der meine Mutter in solchen Situationen umgeht, dafür war und bin ich sehr dankbar.
Wir hatten eine Haushaltshilfe, die einmal in der Woche bei uns putzte. Und ansonsten musste ich einfach auch mithelfen. Es gab Aufgaben die ich übernommen habe und auch heute noch habe. Die Arbeiten waren so aufgeteilt, dass ich die Tätigkeiten erfüllte, die meiner Mutter schwerfielen. Es war/ist dann meine Aufgabe. Und ja, das waren Aufgaben die ich hatte, weil meine Mutter behindert ist und es für mich einfacher ist, aber dafür mache ich andere Sachen nicht.
Mitleid von dritten gab es. Ja. Und ich empfand das jedes Mal als unangebracht. Denn ich dachte, das steht mir gar nicht zu. Wieso soll ich bemitleidete werden. Ich habe eine Mutter die mich liebt und zu meinem Vater regelmäßigen Kontakt. Es gibt Leute denen es schlecht geht, die haben Mitleid verdient.
Ja. Meine Mutter fällt auf. Wenn sie in einen Raum kommt, erfüllt sie diesen mit Lachen. Sie hat eine starke Ausstrahlung kann alle Menschen mitreißen. Und dann hat sie eben noch zwei zu kurze Arme.
So ähnlich sieht das bei der Mutter des Autors aus
Copyright: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendwann mal etwas machen wollte und dann gesagt wurde: Das können wir nichtmachen. Also irgendwo gab es immer einen Weg. Mit ihrem umgebauten Auto kamen wir auch überall hin.
Und dann gab es da eben auch den Erziehungsstil meiner Mutter. Sie hat mich sehr frei gelassen, weil sie mir vertraut hat. Und dementsprechend hat sie mich daraufhin erzogen, erwachsen und selbständig zu sein. Meine Bedürfnisse wurden sehr ernst genommen. Mir wurde nie gesagt: Ach das ist doch nicht so schlimm.
Ich weiß, dass das leider nicht überall so war. Ich bekam mitgegeben, dass man sich anstrengen muss und dass man selbstbewusst sein muss, sich nicht unterkriegen lässt und für sich einsteht. Und dass man auch sich selbst hören muss, damit man für andere da sein kann.
Heute ist unsere Tochter drei Jahre alt und genau das selbe möchten wir ihr mit auf den Weg geben.
Ich sage vielen Dank für diesen postivten Einblick in deine Herkunftsfamilie.
Fall auch ihr an der Blogreihe teilnehmen wollt, meldet euch gerne unter wheelymum08@web.de
Ältere Beiträge der Blogreihe:
Eure