Inklusion an Kunsthochschulen: Warum das mehr als ein kreativer Fortschritt ist

Manchmal ploppen in meinem Mailfach Pressemitteilungen auf, die klicke ich einfach weg. Selten sind es Statements bei denen ich denke: Das muss ich mit euch teilen. Nicht, weil ich Werbung machen möchte – sondern weil ich zeigen will, was möglich ist, wenn wir Inklusion ernst nehmen. Und weil ich selbst Mutter bin, die sich fragt, wie der Weg nach der Schule aussehen kann, wenn nicht alles „standardmäßig“ läuft.

Vor wenigen Tagen hat EUCREA, der Verband zur Förderung von Künstler*innen mit Behinderungen, sein neues Profil vorgestellt. Im Mittelpunkt steht dabei das Programm ARTplus – ein Beratungs- und Begleitangebot für Menschen mit Behinderung, die sich in Richtung künstlerischer Ausbildung bewegen möchten. Gleichzeitig richtet sich das Programm an Kunsthochschulen, die inklusiver werden wollen.

Das wichtigste für mich: 
Es geht nicht um „Sonderprojekte“, sondern um ganz normale Teilhabe. Um junge Menschen, die sich für Musik, darstellende oder bildende Kunst interessieren – und denen dieser Weg bisher oft verwehrt blieb. Nicht aus Mangel an Talent, sondern weil es an barrierefreien Zugängen, pädagogischer Flexibilität oder schlicht an Vertrauen mangelte.

Warum das wichtig ist – auch wenn dein Kind vielleicht (noch) nicht an der Kunsthochschule steht

Wir reden oft über Inklusion in der Schule, manchmal noch in der Kita. Aber was passiert danach?
Für viele junge Menschen mit Behinderungen klafft zwischen Schule und Beruf ein Loch – ein Loch, das in der Praxis oft in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung endet. Meine Meinung dazu kennt ihr. Dabei gibt es noch mehr. Aber die Beratung dazu ist unzureichend. Fachliche Qualifizierungen, die auf die Interessen und Fähigkeiten dieser jungen Menschen eingehen, gibt es selten. Und wer kreativ ist, neugierig, eigenwillig, aber nicht „einfach“, der passt oft nirgends so richtig rein.

Was EUCREA mit ARTplus macht, ist also nicht nur ein Angebot für ein paar wenige Talente – es ist ein gesellschaftlicher Testlauf für das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Dass Vielfalt in Kunst, Kultur und Ausbildung normal wird.

Und ja – ich habe mich beim Lesen dieser Mitteilung an vieles erinnert gefühlt.
An die Blicke, wenn mein Kind in kreativen Projekten so aufblüht – aber gleichzeitig niemand so richtig weiß, wie man diesen Weg weiterdenken soll.
An Diskussionen über Schulnoten, bei denen seine eigentliche Begabung keine Rolle spielt.
An die vielen kleinen Erfolge im Alltag, die erst später sichtbar werden – wenn man zurückblickt.

Was mir Hoffnung macht

Es sind nicht nur die großen Namen (ja, es sind Kunsthochschulen in Berlin, Hamburg, Niedersachsen und bald auch Mecklenburg-Vorpommern dabei), es sind auch die kleinen Sätze, die mich haben aufhorchen lassen. Zum Beispiel:

„Menschen mit Behinderung waren im Hochschulalltag bisher zu wenig sichtbar. Das zu ändern und inklusivere Ideen für die Zukunft zu entwickeln, gelingt uns durch ARTplus.“
(Dr. Angelika Richter, weißensee kunsthochschule berlin)

Oder:
Dass auch Menschen mit intellektuellen Behinderungen durch eine künstlerische Eignungsprüfung Zugang zum Studium bekommen können – ganz ohne Abitur.

Oder:
Dass Hochschulen ihre „Third Mission“ ernst nehmen – also ihre Verantwortung, die Gesellschaft mitzugestalten.

Beim Lesen der Mitteilung war mir klar, ich will das mit euch teilen.

Weil es Mut macht. Weil es zeigt, dass Veränderung möglich ist.
Weil es die jungen Menschen ernst nimmt, die oft übersehen werden – nicht, weil sie zu wenig wären, sondern weil unser System zu starr ist.

Ich teile das, weil ich glaube, dass jeder kreative Weg, der inklusiv beschritten wird, auch Türen für andere öffnet.
Und weil Kunst, Musik, Bühne und Film nicht nur Spiegel der Gesellschaft sind – sondern Motoren für neue Bilder und Denkweisen.

Beim Schreiben über EUCREA und ARTplus kam mir eine Szene in den Sinn, die im Theater erlebt habe. Es ging um ein Klassentreffen – 20 Jahre nach dem Abschluss einer inklusiven Schule. Ich sah das Stück 2x innerhalb von 24 Monaten.

Besonders spannend: Die Figur mit Trisomie 21 wurde in einem Stücks von einer Schauspielerin mit Downsyndrom verkörpert. Beim zweiten mal übernahm eine Schauspielerin ohne Behinderung dieselbe Rolle. Auch die Figur im Rollstuhl wurde einmal von einem echten Rollstuhlfahrer gespielt – und dann von einem Schauspieler, der sich für die Szene in den Rollstuhl setzte.

Als Zuschauerin spürte ich: Etwas verändert sich, je nachdem, wer da auf der Bühne sitzt oder steht.
Es geht nicht nur darum, eine Rolle zu spielen – sondern darum, eine Perspektive sichtbar zu machen, die oft im Alltag fehlt.

Diese Erfahrung hat mir nochmal deutlich gemacht, warum Programme wie ARTplus so wertvoll sind:
Sie holen Menschen mit Behinderung nicht nur ins Rampenlicht, sondern an den Ursprung von Kultur – in die Ausbildung, in den kreativen Prozess, in die Entscheidung darüber, wer erzählen darf und wie. Hier kann ich euch Kübra ans herz legen – ich freue mich immer, wenn ich sie spielen oder im Tv sehen darf.

Wenn du also ein Kind, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen kennst, der sich für Kunst interessiert, aber bisher dachte: „Das ist nichts für mich“ – vielleicht ist es das doch. Vielleicht ist es genau das Richtige.

Und vielleicht muss sich nur unser Blickwinkel ändern.

wheelymum

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